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Archiv-Artikel

„echo“-verleihung Das Echo der Krise

Die deutsche Plattenindustrie verteilt Schokolade – mehr für „die Verkaufe“, weniger fürs Talent

„Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ war früher. In der Musik verarbeitenden Industrie herrscht die pure Existenzangst. Als Sofortmaßnahme zur Linderung fällt den Verantwortlichen nicht allzu viel ein; die Verwurstung von Soundfiles als Klingelton fürs Handy ist so ein Rettungsanker. Schon beachtlich, wie man Musik als Kulturgut entwerten kann.

Einmal im Jahr aber, da ist alles noch einmal fast gut, da gibt es schlechte Reden en masse und diskussionswürdige Klamotten, da ist „Echo“-Verleihung. Auch ohne den kecken Autopiloten Küblböck hatte die 13. Ausgabe der Echo-Verleihung die üblichen scheußlichen Momente. Preisträger Bohlen behauptete tolldreist, dass Musik seit 30 Jahren seine Leidenschaft sei, hat aber noch nie welche gemacht – und bedankte sich in seiner Rede konsequenterweise bei der Bild-Zeitung. Hartmut Engler, hässlicher Sänger der hässlichen Band Pur, zerrte wieder mal Privates in die Öffentlichkeit und schwiemelte in einem Lied seinen Erzeuger an. „Papa, ich hab dich lieb“, oder so ähnlich. Hansi Hinterseer singt Zeilen wie „Elisabeth, du hast mir den Kopf verdreht“ – und bekam unter anderem dafür einen Preis. Laudator Dirk Bach erzählte, dass es beim „Echo“ im Gegensatz zur Dschungelshow keine Kakerlaken brauche (in der Musikbranche reicht ein Besuch bei der Plattenfirma), und erntete für diese kluge Analyse eisiges Schweigen aus dem Saal. Bleiben die lichten Momente einer Veranstaltung, die wie immer von Hass, Neid und Missgunst geprägt war.

Judith Holofernes, Sängerin der völlig zu Recht dreifach prämierten Band Wir sind Helden, schmückte ihre Dankesreden mit Vokabeln wie „Neugierde“, „Mut“ und „Glück“ und appellierte an die Plattenmenschen, „die das lieben, was sie tun“. Worauf das Auditorium, weil es ja nicht allzu viele davon in der Branche gibt, vor allem so reagierte: mit Unverständnis.

So schön der Erfolg von Wir sind Helden ist: In der Industrie hat keiner das Potenzial dieser Band erkannt, die ersten Songs hat sie ohne Label veröffentlicht. Jetzt aber setzt es als Belohnung ein paar „Echos“. Ganz so, wie man als Erwachsener Kinder mit einer Tafel Schokolade belohnt, wenn sie selbstständig was ganz und gar Unerwartetes geschafft haben. Was verkauft, muss ja auch gut sein. Irgendwie. Das ist die Logik, an der die Musikindustrie zugrunde gehen wird.

MARTIN WEBER