dvdesk: Die halbe Ewigkeit einer jungen Liebe
Es ist das Frühjahr 2020. Im Radio ist Premierminister Édouard Philippe zu hören, der die geselligen Französinnen und Franzosen zur Vereinzelung aufruft. Später, noch besorgter und noch grundsätzlicher: Macron. Der erste Lockdown, auf der Straße machen die Menschen umeinander einen ganz großen Bogen. In den Krankenhäusern werden die Patienten intubiert und sterben. Véra (Amel Charif), eine Anwältin um die dreißig, die eigentlich in Montpellier lebt, kommt nach Paris für ein Jobinterview. Das Interview macht sie per Zoom, es ist furchtbar, der Boss der Kanzlei ist übergriffig im Gespräch und will sie dann nicht.
Eigentlich sollte sie zurück, aber sie bleibt. Mit Mehdi, ihrem Freund in Montpellier, läuft es nicht gut, der Aufschub des Wiedersehens kommt ihr sehr recht. Die Professorin Hortense, eine Freundin, in deren Wohnung sie untergekommen ist, ist an Covid erkrankt, liegt im Krankenhaus, sodass Véra die Wohnung für sich hat. Und dann klingelt da ein Mann an der Tür, Sam (Pablo Pauly), ein bisschen schräg, sehr lebendig und lustig, beschäftigungslos. Die Kneipe, in der er arbeitet, ist im Lockdown. Véra und Sam sitzen draußen auf einer Bank, Mindestabstand dazwischen, die Polizei passt ganz genau auf. Der Abstand schwindet sehr schnell. Und so kommt eines (Blicke, Scherze) zurück in der Wohnung zum andern: Küsse, Sex, noch mehr Sex, den „Auf die Freude“ mit schöner Selbstverständlichkeit zeigt.
Der Film nimmt die Coronasituation nicht wie so viele andere aus der Zeit als Randgegebenheit hin, sondern erzählt eine Geschichte, die so unter anderen Umständen kaum möglich wäre oder jedenfalls anders verliefe. Die fremde Wohnung wird zum Zwangs- und Rückzugsraum, in dem die Zeit beinahe stillsteht. Täglich wird für die Pflegekräfte geklatscht, ein Rest sozialer Zusammenhang, von Balkon zu Balkon sichtbar nah und doch körperkontaktfrei Welten entfernt. Und dann ziehen sich alle in ihre vier Wände zurück.
Das soziale Leben kommt zum Erliegen. Véra ist mit dem Rest der Welt, auch ihren Klientinnen und Klienten, nur noch per Handy und per Zoom in Kontakt. Und so werden Véra und Sam einander zu allem. Es ist, als erklärte sich die Gesellschaft für einmal bereit, das Gefühl frischer Liebe, bei dem es niemanden mehr als den anderen gibt, in seiner ganzen Absolutheit zuzulassen. Nur einmal schneit die vereinsamte Schwester der Wohnungsbesitzerin Hortense herein, Klopapier in den Händen, stört die beiden beim Sex auf und redet und redet.
Die paar Tage, an denen „Auf die Freude“ spielt, sind die halbe Ewigkeit einer jungen Liebe: im andern eine ganze neue Welt. Regisseur und Drehbuchautor Jérôme Bonnell erzählt seit Jahr und Tag sehr französisch und charmant und eher angenehm als unangenehm konventionell von der Liebe, vor allem sein Debüt „Le chignon d’Olga“ von 2002 wird von vielen verehrt. In die Coronasituation fügt sich der Liebesplot auf erst ganz natürliche, dann zusehends unheimliche Weise. Es scheint alles so einfach, zu einfach. Und dann schlägt das Realitätsprinzip gleich mehrfach zurück.
Nicht nur, aber auch in Gestalt von Covid. Ganz unwirklich wird, was geschah, Véra schon ein Jahr später erscheinen.
Das ist nicht einfach ein Zeitsprung als Epilog. Markiert ist hier ein geradezu existenzieller Bruch zwischen vorher und nachher. „Auf die Freude“ ist eine individuelle Geschichte über die Liebe in den Zeiten des Beginns von Corona. Aber auch ein Film, der mit großer Intensität eine Zeit heraufbeschwört, die kaum vergangen und doch sehr weit entfernt ist.
Ekkehard Knörer
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