dvdesk: Bilder, die auf der Zunge zergehen
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Sechs Männer der besten Gesellschaft an einem Tisch, sie haben Servietten über die Köpfe geschlagen, man hört Essensgeräusche und lustvolles Stöhnen. Sie gehen einem der perverseren gastronomischen Genüsse nach, die Menschen sich ausgedacht haben: der Verspeisung von Ortolanen. Kleine Singvögel, die gefangen, im Dunkeln gemästet, am Ende in Armagnac ertränkt werden. Unter der Serviette zerkaut man sie als Leckerbissen am Stück, den Blicken der anderen entzogen. Heute ist der Fang der Vögel verboten, verspeist werden sie, vor allem in Frankreich, noch immer.
Aber wir sind nicht im Heute. Sondern im Frankreich der 1880er Jahre, auf einem riesigen Anwesen auf dem Land, das dem berühmten Gastronomen Dodin-Bouffin (Benoît Magimel) gehört, den sich der Autor (und Gastronomiekenner und im übrigen auch Sozialist) Marcel Rouff für seinen vor hundert Jahren erschienenen Roman „La vie et la passion de Dodin-Bouffant, Gourmet“ ausgedacht hat. Mitausgedacht hat er sich dessen freiheitsliebende Köchin Eugénie, deren Rolle in der Verfilmung Juliette Binoche übernimmt.
Es ist ein Roman über die Genüsse des Essens, mehr noch des Kochens, und zwar als Kultur und als Kunst. Als in der Nähe der Wissenschaft gelegener Kunst, als Feier der Subtilität in der Behandlung der Stoffe, in ihrer Auswahl, Zubereitung und Komposition. Als Kunst des sinnlichen wie intellektuellen Genießens, das mehrere Voraussetzungen hat: etwa einen durch lange Erfahrung und auch ihre Verbalisierung unendlich verfeinerten Geschmack. Und die Zeit, die Muße, das Geld, ohne die die hohe Küche, um die es hier geht, und auch die Kunst des Weines, die sie begleitet, nicht denkbar wäre.
Sie hat ihre Helden und Stars, sie werden im Film genannt und gefeiert, vom Gott der Patisserie Marie-Antoine Carême bis zu Auguste Escoffier, der zur Handlungszeit von Film und Roman seinen Siegeszug in den Küchen des Hoteliers César Ritz beginnt. Im Londoner Ritz übrigens war später ein gewisser Ho Chi Minh bei Escoffier Küchengehilfe. Das ergibt eine versteckte Pointe, weil es Ho Chi Minhs Kommunisten waren, vor denen 1975 die Eltern des damals 13-jährigen Trần Anh Hùngaus Vietnam flohen.
Der hat als Regisseur in Frankreich dann in Filmen von erlesener Schönheit – „Der Duft der grünen Papaya“ (1993) oder „Cyclo“ (1995) – erst einmal seine alte Heimat beschworen. Und nun beschwört er ein Frankreich des späten 19. Jahrhunderts herauf, erhielt dafür beim Filmfestival in Cannes den Preis für die beste Regie. Es ist ein Film der Bilder vom Kochen, Reden, Lieben im natürlichen Licht, drinnen und draußen, der Bilder, die auf der Zunge zergehen. Mit einer schwebenden Kamera, die in ewig zarter Bewegung unsere Blicke unter ihre Fittiche nimmt. In erlesenen Einstellungen, die virtuos, genau und kontrolliert sind, und die immer wieder die Wandlungswunder vom Rohen zum Gekochten begleiten. Und auch die Liebe des Kochs zur Köchin, in dessen Blick die entkleidete Rückansicht der Geliebten weniger als nackte Maya denn als begehrenswerte Birne Helene erscheint.
Wer das Kino liebt, als Feier der Subtilität in der Behandlung der Stoffe, in ihrer Auswahl, Zubereitung und Komposition, als Kunst des sinnlichen wie intellektuellen Genießens, wird bei all dem zerschmelzen. Wenn auch vielleicht unter Entsetzen: über den Luxus, der immer auf Ausbeutung ruht; über eine Zivilisiertheit, die das Töten und Quälen der Tiere nie thematisiert; über das Zugleich von Verfeinerung und Tortur; den Menschen, der beim Zermahlen der Ortolane unter seiner Serviette so abstoßend stöhnt. Ekkehard Knörer
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