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documenta11 spotAnnette Messagers „Artikuliert – Unartikuliert“-Installation

Geheime Obsession des Plüschs

An langen Bindfäden hängen sie von der Decke, die flauschigen Plüschpuppen. Von mechanischer Geisterhand zieht es sie hoch und runter. Die Bewegungsabläufe sind asynchron. Anscheinend isoliert voneinander surren die Fäden. Darunter liegt eine wilde Ansammlung kinderfreundlichen Getiers und merkwürdig verstümmelter, ausgestopfter Körperteile. Ein gespanntes Seil umgrenzt den quadratischen hortus conclusus des Puppentheaters.

Die Schaubude der gemütlichen Haptik täuscht. Messager hat sich in ihrer raumgreifenden Installation „Artikuliert – Unartikuliert“ auf der Documenta11 wieder einmal als Sezierkünstlerin des Abfalls betätigt. Sie hat die Stofftiere zerlegt, ausgenommen, auf unsinnige Weise wieder zusammengesetzt und montiert. Das ist seit den Siebzigerjahren ein wiederkehrendes Element in den Arbeiten der 1943 geborenen Französin. Bereits die im Kontext feministischer Ansätze entstandenen Werkserien wie „Sammelalbum Nr. 18“ (1972), bei denen gesellschaftliche Zwänge der Frau subtil das Thema waren, basierten auf gesammeltem und fragmentiertem Material.

Die recycelten Puppen, die abgetrennten Körperteile wirken verstörend. Unübersehbar ist dabei die sexuelle Konnotation der Arrangements. Folter und Lust finden sich hier radikal kurzgeschaltet – ein Zusammenhang, der aus Gründen der Sozialhygiene lieber unter dem Teppich abgelegt wird. In ihrer zugerichteten Körperlichkeit oszillieren die Puppen zwischen dem Schönen und dem Unheimlichen und entfalten eine unangenehme Spannung zwischen Tod und Begehren. Die wiederverwertete Puppe gerinnt zum Fetisch.

Mit Kalkül inszeniert die Künstlerin die beklemmende Atmosphäre des Unwirklichen gerade durch die massive materielle Präsenz der Körper. Scheinen die Gebilde doch stumm auf etwas zu verweisen, das selbst nicht anwesend ist. Im Cluster der sentimental aufgeladenen Kindheit-Klischees mutieren die Puppen zum Symptom. Die widerständigen kleinen Überbleibsel, der soziale Auswurf bekommt die essenzielle Funktion einer Spur zugeschrieben – der Spur des Vergangenen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeiten auf der Documenta lässt Messager dieses Vergangene aber bewusst offen. Die Fraktur einer Wirklichkeit – bei Zarina Bhimji sind es die gefilmten menschenleeren Häuser in Uganda – ist bei ihr multifunktional. Die Assoziationspalette Innen / Außen, Privat / Öffentlich / International macht deutlich: Der Plüsch ist global.

Auf der stark mediengestützten Documenta11 wirkt Messagers Installation auf den ersten Blick fast traditionell. Akkumulation von Material, Grundbedingung von Archivierung, dürfte wohl die dominanteste künstlerische Strategie der gesamten Show sein. Doch während viele Werke mit dem Anspruch oder dem Anschein einer realistischen Dokumentationsweise operieren, setzt Messager dem eine artifizielle Müllhalde entgegen. Der mediale Anachronismus ist zudem nur ein scheinbarer. Die Künstlerin spielt viel mehr mit der strukturellen Überlagerung von Film und Malerei im installativen Objekt. Erst mal wird einem mit dem u-förmigen Parcours um die Installation ein Rahmen als ästhetische Grenze vor die Nase gesetzt, der die Betrachterposition nicht nur in die des Voyeurs umkippen lässt.

Vom Rahmen aus blickt man auf die Installation wie auf ein Bild – sie verdichtet sich unversehens zum Tableau. Das Perpetuum mobile ist aber nichts weiter als ein Loop. Das am aufgespannten Seil in gleich bleibender Geschwindigkeit am Boden langgeschleifte Stofftier macht sich nicht nur einen filmischen Trick zunutze. Es ändert auch den zeitlichen Aggregatzustand der Arbeit. Im Loop kommt die Zeit zum Erliegen. Die Wiederholung macht die Installation zum frozen picture. Stillstand statt Dauer. Exakt dieses Zeitkondensat lässt Vergangenes im Jetzt aber erst sichtbar werden. Dieser von der Malerei übernomme Vorteil der Darstellung macht die Puppets so real. JUTTA VOORHOEVE

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