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Archiv-Artikel

dieter baumann über Laufen Torhüter oder Soldat

Kinder lernen durchs Fernsehen – wie man einen Wettlauf startet und wie man auf Panzer schießt

Neulich war ich unerwartet einer der Hauptdarsteller in einem Spiel im Kindergarten meines Sohnes. Ich wollte ihn abholen, da sah ich ihn zusammen mit seinen Freunden im Garten des Kindergartens stehen. Sie diskutierten lebhaft. „Komm, wir laufen um die Wette“, sagte ein kleines Mädchen in die Runde und fügte noch schnell hinzu: „Aber ich bin Laban Chege.“ Der Kenianer hatte im vergangenen Jahr den Tübinger Stadtlauf gewonnen. Trotzdem war ich überrascht, dass die Kinder seinen Namen noch wussten und in seine Rolle schlüpften.

Ein Junge schrie: „Und ich bin Dieter Baumann.“ Im Nu war die die Strecke ausgemacht, Start und Ziel befanden sich beim gebogenen Klettergerüst, das durchlaufen werden musste. Ich verhielt mich mucksmäuschenstill und wartete gespannt auf den Start. Mein Sohn hatte schon oft die Startvorbereitungen von 100-Meter-Läufern beobachtet und zelebriert zu Hause 100-Meter-Starts in Perfektion. Jedes Detail, das er im Stadion gesehen hat, wird nachgespielt. Zunächst macht er lockere Sprünge vor dem imaginären Startblock, blickt dabei hochkonzentriert in Richtung Ziel, bevor er kurz vor dem Startschuss seine Hose auszieht – Läufer laufen immer in kurzen Hosen –, und stellt seine Bizepse theatralisch zur Schau. Offensichtlich ist er der Meinung, dass das zum Sprinten dazugehört.

Im Kindergarten verzichtete er aber auf dieses Prozedere, schließlich handelte es sich um einen Langstreckenlauf. Die Wettkämpfer nahmen unter dem Klettergerüst Aufstellung, die Spannung stieg. Das Mädchen schrie „Auf die Plätze, fertig …“, und noch bevor sie „los“ sagen konnte, waren schon alle in einem unglaublichen Tempo unterwegs. Nach dem Zieleinlauf keuchte das Mädchen: „Wir waren bestimmt die schnellsten Läufer auf der ganzen Welt.“

„Nein“, kam es aus einem anderen atemlosen Kindermund, „der Dieter Baumann ist der schnellste auf der Welt.“ Worauf mein Sohn ganz fachmännisch korrigierte: „Das stimmt nicht, die Spanier waren schneller.“ Ich musste lachen, er hatte ganz offensichtlich immer noch die Spurtentscheidung von München im Kopf.

Natürlich ist er in unserem Hause ganz anders für das Laufen, für Wettkampfsituationen sensibilisiert. Ob es daran liegt, dass meine Kinder oft um die Wette laufen, weiß ich nicht. Im Winter geht es in der Regel um den Esstisch, und wenn seine Schwester kein Lust hat mitzumachen, dann läuft der Junge meist gegen seine Lieblingsgegner, die Spanier. Auch Kenianer mischen in seinen Laufspielszenen mit. Vor wenigen Tagen hatte er sich im Garten wieder einmal einen Lauf-Parcours zusammengestellt. „Da kommen die Spanier, es geht in die letzte Runde“, murmelte er beim Laufen vor sich hin. „Jetzt kommt der Spurt und …“ Nun könnten Sie den Eindruck bekommen, mein Sohn wird Läufer. Weit gefehlt. Er wird Torhüter beim FC Bayern München. Oliver Kahn ist sein Held.

Unglücklicherweise sah er in den ersten Tagen des Irakkrieges des Bild eines Soldaten, der hinter einer Mauer kauerte. Weit in der Wüste sah man einige Panzer – oder besser: man erahnte sie –, die Kameraeinstellung war so gewählt, dass man den Eindruck vermittelt bekam, man läge selbst mit der Waffe da, blicke durchs Zielfernrohr und im Fadenkreuz taucht weit in der Wüste ein Panzer – oder etwas, was man dafür halten kann – auf. Ich versuchte meinem Sohn zu erklären, wie furchtbar und schrecklich dieser Krieg, jeder Krieg ist. Menschen werden getötet, Kinder verlieren ihre Eltern. Dann sah man, wie der Soldat eine kleine Rakete abfeuerte, im selben Augenblick verschwand das gepanzerte Fahrzeug in einer Rauchwolke. Später, beim Zu-Bett-Gehen, eröffnete mir das Kind: „Du Papa, ich werde später mal Soldat.“ Wie von einem Faustschlag getroffen versuchte ich, in ihm einen anderen Gedanken aufleben zu lassen. „Du wolltest doch immer Fußballer werden, Torhüter“, fügte ich noch betonend hinzu. „Na gut“, gab er zögerlich zur Antwort, „entweder Torhüter oder Soldat.“

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