dieter baumann über Laufen: Sau, Wolle, sau
Athleten sind diszipliniert – besonders wenn sie für einen Wettkampf noch mal hart trainieren. Nicht wahr? Na ja …
Normalerweise liegen wir Athleten natürlich pünktlich um zehn im Bett, schlagen nie über die Stränge und verbannen jede noch so kleine Freude aus unserem Leben. Vor allem dann, wenn hartes Training oder gar ein Wettkampf ansteht.
So war es in der letzten Woche. Baden-Württemberg feierte 50-jährigen Geburtstag. Grund genug, eine große Sause zu machen. Am Schlossplatz in Stuttgart fanden sich vergangenen Sonntag deshalb 60.000 Musikfans zum großen Open-Air-Konzert ein – mit Pur, Wolle Kriwanek und vielen anderen regionalen Helden. „Sau Wolle, sau“, hauchte Kriwanek ganz außer Atem ins Mikrofon und bekannte sich in seinem Song: „I muss die Stroßaba no krieaga“ zum Laufen. Was ihn mir verständlicherweise sympathisch macht. „Sau, Wolle“ heißt schließlich nichts anderes, als dass jemand schnell laufen soll. Genau das hat mich letztlich darin gehindert, zum Schlossplatz nach Stuttgart zu gehen. Am selben Tag standen schnelle Läufe auf dem Trainingsprogramm. Die Beine waren danach müde und ich nicht mehr in Form, ein Open-Air-Konzert zu überstehen. Vielleicht habe ich Glück und es stehen beim 100-jährigen Geburtstag keine Tempoläufe an.
Auch am Montag wollte ich früh zu Bett. Schon am nächsten Tag wollte ich das letzte harte Training vor den kommenden Wettkämpfen angehen. Nochmals volle Konzentration. Doch auf dem Weg ins Bett zappte ich noch einmal gelangweilt durchs Programm. Da tauchte ganz plötzlich Tom Jones auf dem Bildschirm auf. Er stand auf einer großen Bühne vor dem Buckingham-Palast. Tausende von Menschen klatschten und tanzten zu seinem Song „Sexbomb“. Klar, die Queen, Ihre Majestät Königin Elizabeth II., feierte dieser Tage doch auch. Und wie Baden-Württemberg mit einem Open-Air-Fest. Aber was für einem. Die Gruppe Queen folgte. Joe Cocker, „with a little help from a friend“ begeisterte mich wie eh und je mit seinem „Schrei“. Ein Konzert der Sonderklasse. Cliff Richard, Eric Clapton.
Endlich wollte ich mich losreißen, war schon aufgestanden. Laufen musste ich doch, schnell laufen, „sau, Dieter sau“, morgen Vormittag. Da wurde Rod Stewart angekündigt. Der singt bestimmt „I am sailing“, dachte ich voller Vorfreude. Nur das eine Lied noch, dann ist Schluss. Er sang es nicht, aber schon war der nächste große Star auf der Bühne. Dieses musikalische Feuerwerk an diesem Abend zog mich in seinen Bann. Ich setzte mich wieder, vergaß die Zeit und meine Tempoläufe gleich mit. Hätte RTL II noch auf die beiden Kommentatoren verzichtet, die durch seichtes Gebabbel den besten britischen Komödianten das Wort entrissen, wäre das eine Sendung der Extraklasse gewesen. Aber die tolle Stimmung dieses Abends konnten auch sie trotz ihrer redlichen Bemühungen nicht zerstören.
Am Schluss der Show kam natürlich ein Beatle: Paul McCartney, dessen Auftritt in einer Art Liebeserklärung für die Queen gipfelte. Alle Großen des britischen Rock und Pop waren zum großen Finale nochmals auf die Bühne gekommen und sagen gemeinsam den Beatles-Song „Love, love, love“. In dieser nun einmaligen Stimmung dann der Höhepunkt. Die Queen mitsamt Gefolgschaft kam auf die Bühne. Es war schon weit nach Mitternacht. Mein Training, die Tempoläufe, was zählte das schon. Prinz Charles ergriff das Wort: „Eure Majestät“, sagte er steif, hielt für eine Sekunde inne und schob dann lausbubenhaft und jedes Protokoll missachtend „Mummy“ hinterher. Die Zuschauer waren begeistert. Nach kurzer Ansprache machte Charles einen Schritt zurück. Das Mikrofon war frei. Ich war fasziniert. Im Garten des Buckingham-Palastes herrschte Stille. Alle Zuschauer warteten, erwarteten einen Satz ihrer Königin. Würde sie das Protokoll, wenn es eines gab, durchbrechen? Es war spannender als mancher „Tatort“. Los, sag etwas, dachte ich. Die Queen machte eine Drehung, wollte anscheinend gehen und hielt nochmals kurz inne. Ja, jetzt, ich sprang von meinem Sessel auf. Die Queen winkte aber nur in die Menge und verließ die Bühne. Für Sekunden herrschte Ratlosigkeit, aber Paul McCartney rettete die Situation. Er schlug vor, im nächsten Jahr dieselbe Party noch mal zu machen. „Ja, aber nicht in meinem Garten“, antwortete darauf die Queen.
Ein toller Abend, aber das Training? Als sich meine Beine am nächsten Morgen nur schwer bewegen ließen, fiel mir der afrikanische Läufer Yobes Ondieki ein. Er kam in einem Trainingslager auf die Bahn, wärmte sich auf und ging mit dem Kommentar wieder nach Hause: „Ich bin zu müde und komme heute Abend noch mal.“ So machte ich es auch.
Fragen zum Laufen?kolumne@taz.de
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