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die wahrheitErde, reiß dich zusammen!

Die Wahrheit stellt klar: Der sogenannte Blaue Planet ist die Hölle auf Erden

Für selbstverständlich hält sie es, dass der Mond stets hinter ihr geht, wie eine arabische Ehefrau Bild: ap

Die Erde ist der Paradiesvogel unter den Planeten. Herausgeputzt wie ein Dandy flaniert sie durch das Weltall, blickt hochnäsig wie ein Snob auf den Rest des Kosmos herab und pocht auf strikten Abstand zu ihren armen Verwandten im Sonnensystem. Mit hochgezogenen Augenbrauen und steifer Oberlippe quittiert sie es, wenn die ungezogenen Nachbarn sie mit Meteoriten beschmeißen wie dumme Jungen, und für selbstverständlich hält sie es, dass der Mond ihr den Butler macht, stets drei Meter hinter ihr geht wie eine arabische Ehefrau und die Erde nachts vorn und hinten bedient

Die Erde hält sich für besser als das ganze Universum. Ihretwegen ist die Sonne da und versorgt sie fett mit Licht und Wärme, ihr zuliebe wurden Raum und Zeit geschaffen. Zufrieden wie ein Aristokrat, dessen Leben Jahrhunderte vor seiner Geburt beginnt und der nun an der Spitze der menschlichen Evolution sich zu befinden geruht, hält sich die Erde für die Krone der Schöpfung, weil sie sich im Rattenrennen der Himmelskörper ganz oben positionieren konnte. Schließlich hatte jeder Planet die gleichen Chancen wie sie! Wenn die es in Milliarden Jahren zu nichts bringen als leblosen Schrottkugeln im Weltraum, sind sie doch selbst schuld! Die Erde ist der Mensch unter den Planeten, ist der Musterknabe im All. Und geben wir es hier, wo wir unter uns sind und es niemand in der Öffentlichkeit erfährt, ruhig einmal zu: Die Erde hat sich durchaus einen Eimer voller Meriten verdient. "Verdammt schön, Mutter Erde, ist deiner verfickten Erfindungen Pracht", musste bereits im 18. Jahrhundert der Odenklempner Friedhelm Gottlieb Kloppstock einräumen. Stramme Bäume und flippige Blumen hat die Erde hervorgezaubert, possierliche Hummeln und humoristische Hammerhaie ausgebrütet, sanften Schneefall für den Winter und feinen Nieselregen für den Sommer sich ausgedacht, Ruhe und Schönheit wie Puderzucker über die Natur gestreut: Da gaukelt der Liebfrauenfalter zierlich durch die leichte Luft, blüht sanft der runde Eckenbaum, anmutig schwillert über dem Tümpel die flotte Korkenzieherlibelle. Zwei Blaukrätzer gunkeln am Rabitz. Gemächlich flappt eine Nebelrauke im blonden Sonnenstrahl, fruckt eine Wildschnatze aus dem Niedwurz listig hervor. Im Sommerlaub quiert ein Mädesüß. Im Quitschquatsch das Samenkraut rickt. Horch, da schnackert ein Knorchel im heiteren Gullicht!

Ja, die Erde ist der Himmel auf Erden! "O wunderschön ist Gottes Erde, / und wert, darauf vergnügt zu sein", lobpries schon der 1748 wunderschön geborene Werte- und Versemacher Ludwig Christian Fürchtebald Habegott Lobehold Tränenreich Hölty, um dann aber doch mit schmalen 28 Jahren die Nase zuzumachen und unvergnügt zu verschimmeln (+ 1776). Fürwahr, die Erde ist auch ein praller Schlachthof und ein schwarzes Massengrab; Fressen und Gefressenwerden heißt es unter den Menschen, und anders als die sind auch wir nicht, liebe Leser.

Einst war die Erde wüst und leer, heute ist sie laut und voll. Voll von Übeln, voll von Schlamm im Mittagessen und Glassplittern im Kondom, krummer Musik aus der Wand nebenan und lebenden Nazis im Keller. Schrille Krankheiten wie die Handfäule und das Ballonauge, wie Brüste am eigenen Rücken und Darmspaltung umdräuen den Menschen auf Erden; und irgendwo bellt immer ein Hund.

Die Erde ist auch die Hölle auf Erden, ist ein kapitales Biotop für ungebärdige Bazillen und unbotmäßige Haustiere, für garstige Ehepartner und kratzbürstige Kinder: Es war der Kardinalfehler der Schöpfung, dass die Erde neben dem Menschen noch andere Menschen geschaffen hat. Die Erde zuckt natürlich mit den Schultern und schiebt alles auf den weiter oben schon einmal genannten Gott. Doch in Wahrheit besteht kein Zentimeter Zweifel: Es ist die Erde persönlich, die es faustdick hinter den Löffeln hat. Ohne der seit Urzeiten hochkochenden Naturkatastrophen, geologischen Entgleisungen und biologischen Unverschämtheiten auch nur andeutungsweise eine summarische Erwähnung zu tun, sei bloß ganz frisch auf unser täglich Wetter hingewiesen, dieses gut gefüllte Streckbett für die unmittelbaren Nerven jedes Erdenbewohners. Wir merken es doch, sobald wir aus dem Haus in die nackte Luft treten: Ist es draußen heiß, ist es zu heiß, ist es aber zu kalt, ist es nicht warm genug; und schuld ist die Sonne. Pardon, natürlich die Erde! Denn die Sonne scheint ja immer, im Gegensatz zur Erde. Die Erde ist es, die Erde, die die ganze Quadratscheiße baut!

Und der Autor muss es mal wieder ausbügeln, der Autor und die ganze unschuldige Menschheit. Weshalb an unserem heutigen Ende der mahnende Ruf sichtbar für alle erschalle: Leute, reißt euch zusammen! Äh, nein, die Erde! Aber ein bisschen dalli!

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