die wahrheit: Krieg der Gummitwister
In den sozialen Brennpunkten der Großstädte breiten sich brutale Hüpfbanden aus. Die Wahrheit-Sozialreportage.
Thorsten K. (41) hat die Bierflasche zur Seite gestellt und bringt sich in Position. Ein Raunen geht durch die Menge, als er sich seiner Lederjacke entledigt und die Muskeln entblößt und einen Schritt auf seine beiden Kumpanen zugeht, denen er mit einer Kopfbewegung bedeutet, er werde "Knöchel" überspringen und gleich mit "Wade" einsteigen. Und schon geht es los: Die beiden bärtigen Kumpels - ebenfalls Lederjackenträger mit Bierflaschen in den Händen und dem gespannten Gummi zwischen sich - intonieren rhythmisch: "Hau ruck - Donald Duck - Micky Maus - Mitte - raus!" Thorsten K. springt wie ein junger Rehbock über das gespannte Gummi und bleibt fehlerfrei. Seine Gang applaudiert, und K. blickt triumphierend zu seinem Todfeind Jörg S. (37) hinüber
Wir befinden uns mitten in einem Krieg zwischen zwei rivalisierenden Gummitwistbanden in Berlin-Neukölln. "Die Zeiten, in denen Gummitwist das unschuldige Spiel von kleinen Mädchen zwischen vier und vierzehn Jahren war, die ist leider endgültig vorbei", klagt der Polizist Hermann Junghans, als wir ihn einen Tag lang bei seiner Streife durch die sozialen Brennpunkte seines Reviers begleiten. "Längst ist es zu einem Machtmittel von verfeindeten Banden geworden, und es wird rücksichtslos eingesetzt."
Wir fragen nach, und Junghans gibt bereitwillig Auskunft. So erfahren wir, dass sich in allen deutschen Großstädten kontrahierende Verbände einer gefährlichen Gummitwist-Mafia festgesetzt haben. "Das vollzog sich zunächst schleichend", so Junghans, "und es blieb sowohl von der Öffentlichkeit als auch vom Staat lange Zeit unbemerkt - und als wir es endlich bemerkten, tja, da war es schon zu spät, da waren alle Städte bereits unter den Clans aufgeteilt."
Der mörderische Konkurrenzkampf um Straßenzüge, Schulhöfe und Spielplätze wird mit äußerster Brutalität geführt, es geht einzig und allein um Macht und Ansehen. "Häufig kommt es vor, dass zwei Gangs aufeinandertreffen und eine bestimmte Straße für sich beanspruchen", so Junghans. "Besonders beliebt sind dabei Straßen in verkehrsberuhigten Zonen, weil man da Gummitwist besonders gefahrlos ausüben kann."
Treffen nun zwei solcher Brutalo-Banden aufeinander und keine will von ihrem Anspruch abgehen, dann kommt es zu dem, was im Bandenjargon "Hahnenkampf" genannt wird: Die jeweiligen Gangleader treten gegeneinander an zu einem Kampf Mann gegen Mann, aus dem nur einer siegreich hervorgehen kann. Der Verlierer wird öffentlich durch hämisches Auslachen seitens der Gewinner-Gang gedemütigt und muss dem Sieger das Gang-Gummi - das fast als Heiligtum verehrte Symbol jeder Gummitwistbande - überlassen. Das so erbeutete Gummi wird dann unter Gejohle in den Schmutz getreten und anschließend in eine öffentliche Mülltonne geworfen.
"Das Problem ist, dass es immer häufiger zu Unruhen und Streitigkeiten, ja, bis hin zu Kriegen kommt", weiß Junghans zu berichten. "Der Kuchen ist verteilt, doch es schießen immer mehr Gummitwistbanden aus dem Boden, wie Pilze, und alle wollen Gummitwisten." Was sich die brutalen Twister davon versprechen, wollen wir wissen. "Den schnellen Spaß, das billige Vergnügen, Ansehen, Ehre - es gibt tausend Hoffnungen und Träume, die die jungen Leute mit dem Gummitwist verbinden, und die sie dann in die Fänge von rücksichtslosen und egoistischen Bandenchefs wie Thorsten K. oder Jörg S. treiben."
Der Hahnenkampf zwischen K. und S. strebt seinem Höhepunkt zu. Die unschuldig weißen Gummis sind bereits auf Höhe Unterpo gespannt, und beide Rivalen sind bis jetzt fehlerfrei bei "Mitte", "Grätsche" und "Drauf" geblieben. Die Mitglieder beider Banden sind aufgebracht wie Fußballhooligans, und das Bier fließt in Strömen. Da passiert es! Die beiden Gummihalter von Jörg S. skandieren gerade "Auf ei-ner spa-nischen Bank - da saß ein spa-nischer Mann", als S. sich bei der Grätsche auf Hüfthöhe mit dem rechten Fuß im Gummi verheddert und zu Boden stürzt. Es wird so still, dass man eine Bierflasche auf dem Asphalt zerbersten hören kann. Wenn Thorsten K. jetzt der riskante Sprung gelingt, dann ist der Kampf entschieden. Er gibt seinen Helfern das Kommando zum Start. Sie singen: "In - der - He-xen-kü-che - geht - es - lustig-zu" - Thorsten S. schafft die Grätsche problemlos und katapultiert sich elegant ins "Raus".
Abgestoßen von dem würdelosen Schauspiel, das nun beginnt, wenden wir uns zur Seite - wir haben genug gesehen. Auch Hermann Junghans mag nicht weiter zuschauen. "Wir sind völlig machtlos dagegen", klagt er, "Wir können nichts unternehmen. Und es wird alles noch schlimmer kommen. In Hamburg haben nun die Hells Angels die Szene unter ihre Kontrolle gebracht - es ist nur eine Frage der Zeit, bis es auch bei uns so weit ist."
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