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die wahrheitKafka und Kasper

Die Literaturwissenschaftlerin Miriam von Wieseck hat Sensationelles entdeckt.

Als sich im Jahre des Herrn 1994 bei der vermeintlich intellektuellen Bildungselite der verheerende Irrglaube durchsetzte, dass man Nutella-Gläser im Kühlschrank aufbewahren soll, wurde im Klima der allgemeinen geistigen Verwahrlosung eine gefährlich indifferente Plattform geschaffen, die weiteren alltäglichen Unzulänglichkeiten Tür und Tor öffnete.

Eine Tatsache, die heutzutage niemand mehr nachvollziehen kann, der seinerzeit nicht mit dabei war beziehungsweise seine Nutella-Gläser aus einem sicheren Instinkt heraus noch nie im Kühlschrank untergebracht hat. Doch in jener Zeit gab es auch wenige, die der zügellosen universellen Gesamtverwahrlosung trotzig die Stirn boten und das leichtgewichtige kulturelle Treiben mit nachwirkenden Entdeckungen wieder auf den rechten Weg führten. Getreu dem unsterblichen Forschermotto "Die Zeiten ändern sich - aber vielleicht ändern sie sich ja auch wieder".

Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Miriam von Wieseck beispielsweise ist eine jener Koryphäen, die sich vom kulinarischen Niedergang des Abendlandes gänzlich unbeeindruckt zeigte und die im November 1993, also bereits vor schlappen 15 Jahren, eine der bahnbrechendsten Entdeckungen der letzten 20, 25 vielleicht sogar 30 oder 31, ja eventuell sogar 32, na ja, womöglich doch eher 30 Jahre vor die staunenden Augen einer ordentlich verdutzt dreinschauenden Öffentlichkeit zerrte.

Frau Professor von Wieseck kam im Gästebüro der Kläranlage ihrer Wahlheimat, des kleinen italienischen Badeörtchens Caorle, an jenem Novembertag aufgrund langjähriger Studien zu dem sensationellen Schluss, dass einer der größten deutschsprachigen Literaten, Franz Kafka, in Wirklichkeit eine jahrhundertealte Volkslegende ist.

Das mag auf einen ersten scheuen Blick hin ein wenig gewagt klingen, ist jedoch in seiner faszinierenden Herleitung alles andere als nonchalant vom Tisch zu fegen. "Mir war schon früh klar", so von Wieseck in einem Interview mit der Literaturzeitung Jetzt backe ich selber, "dass es einen verblüffenden Zusammenhang zwischen Kafka und herkömmlichen Kasperlefiguren gibt. Also hab ich mich mit den durchaus gegensätzlichen Mentalitäten der beiden, also Kafka und Kasper, und deren ähnlich klingenden Namen beschäftigt. Nach dem Durchstöbern von 300 Jahre alten Telefonbüchern bin ich dann in Trier auf erste Gemeinsamkeiten gestoßen. Dort gab es nämlich einerseits einen Frank Kasper, seines Zeichens Gemischtwarenräuber, andererseits einen depressiven Handpuppenvertreter, der im örtlichen Telefonbuch lediglich mit seinem Kosenamen Kafkerle verzeichnet war. Anhand alter Polizeiakten habe ich dann Fotos der beiden verglichen, und siehe da: Es handelte sich um ein und dieselbe Person. Aufgewühlt von der Erkenntnis, einer literaturgeschichtlichen Sensation auf der Spur zu sein, habe ich dann den kompletten Lebenslauf Kafkas respektive Kaspers verfolgt und fand so heraus, dass zum Beispiel die Originalpuppen des berühmten Kasperle-Theaters mitnichten Kasper und Seppl hießen, sondern vielmehr Kafka und Deppl, und dass die ersten Auftritte noch unter dem Namen Kafkerle-Theater veranstaltet wurden."

Angesichts solch fundamentaler Forschungsergebnisse verwundert es wenig, dass die passionierte Insektenzüchterin Miriam von Wieseck, die in ihrem Häuschen in Italien mit vier wilden Stubenfliegen lebt, die auf die Namen "Zg", "Zg", "Zg" und "Old Shatterhand" hören, auch noch die eine oder andere weitere aufregende Entdeckung auf ihrer Habenseite verbuchen kann.

"Es wird zum Beispiel von heutigen Wissenschaftlern oft verschwiegen, dass der religiös inspirierte Hintergrund so manchen bedeutenden Werkes in der Weltliteratur einen ganz entscheidenden Einfluss auf die immer agnostischer geprägten modernen Übersetzungen hatte. So sind etwa in der Literatur immer wieder Oster- und Passahfest, oder zumindest deren namensgebende Auswirkungen, diesbezüglich oftmals vollkommen unterinterpretiert worden. Wenn man sich nur einmal Daniel Defoes Eilanddrama 'Robinson Crusoe' in der hebräischen Originalfassung ansieht, wird man schnell erkennen, dass Robinsons eingeborener Inselgefährte Freitag in jener bibelfesten Urversion noch Karfreitag hieß - und das ", so die streitlustige Professorin, " ist nur die Spitze des Eisbergs."

Dass ihre vier wilden Stubenfliegen laut eigenen Aussagen bisweilen dazu neigen, sich, wie weiland Kafka in dessen berühmter Transennummer, in Käfer zu verwandeln, kann man Frau von Wieseck dergestalt genauso glauben wie ihre aktuelle These, der seinerzeitige Propagandaminister Joseph Goebbels hätte bei seiner berühmt-berüchtigten Reichstagsrede mitnichten "Wollt ihr den totalen Krieg?" geplärrt, sondern sich zuerst einmal der ordnungsgemäßen Anzahl der Kriegswilligen versichert: "Seid ihr auch alle da?"

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