die wahrheit: Schwabinger Krawall
Verfrühter Putz.
Einen Vorteil, sagt Herr Hammler, habe diese Klimaerwärmung: Man könne den Frühjahrsputz jetzt im Februar durchführen. Er solle nicht so einen Wind machen, sagt seine Frau, er selber mache ja sowieso nur noch den Keller, seit damals, wo er auf die saudumme Idee gekommen ist, das Regenabflussröhrl mit der Balkondecke zu polieren, die der Familie Reithofer gehöre und ihn nichts angehe, und dabei so deppert aufs Geländer gestürzt ist, dass er sich den Lendenwirbel geprellt hat. Sie mache ihren Putz wie immer Ende März, sonst sei im Sommer wieder alles schmutzig.
Der Wirbel, grollt Herr Hammler, sei nicht seine Schuld gewesen, sondern die der klapprigen Trittleiter, die sie von ihrem Großonkel Theo geerbt und angenommen habe, anstatt sie zu verbrennen. Die Schraube an deren Klappgelenk habe er halt erst anziehen können, nachdem er beim Kelleraufräumen seinen guten Schraubendreher wiedergefunden habe. Schon aus diesem Grund fange er unten an, und zwar sofort.
Das Fenster im Keller ist vor Straßenschmutz undurchsichtig, und so fällt Herrn Hammler nicht auf, dass es, während er mit Begeisterung in Kisten mit seiner Weckerfedernsammlung, der kompletten Serie Kronkorken aller Brauereien des Voralpenlands, regenwurmkrummen Dachpappenägeln, die er vor 30 Jahren "bei Gelegenheit" geradehämmern wollte, und diversen Gegenständen wühlt, draußen heftig zu schneien begonnen hat. Als er endlich darangeht, die Nägel geradezuhämmern, hat er inzwischen so kalte Finger, dass ihm der Hammer aus der Hand und mitten hinein ins Regal mit der Marmelade und dem saurem Kürbis fliegt. Vor Schreck verliert er das Gleichgewicht und gerät bei dem Versuch sich festzuhalten ausgerechnet an die Stehlampe von seiner Tante Agathe, die er nie ausstehen konnte (die Tante) und die nun endgültig hinüber ist (die Lampe), während Herr Hammler einen Eimer voller durchgebrannter Starkstromsicherungen mit sich reißt, aber immerhin nicht in dem Batzen aus Himbeergelee, Kürbisbrei und Glasscherben landet.
Der Krach hat seine Frau in den Keller gelockt, wo sie nun ihrem Mann helfen soll, Kisten und Tüten mit aussortiertem Gelumpe zur Aschentonne zu tragen. Was da drin sei, will sie wissen, sieht selber nach und findet nicht nur ihre Hochzeitsschuhe, sondern noch manch anderes Wertvolle aus ihrem Besitz. Er sei wohl wahnsinnig geworden, ihre unersetzlichen Sachen wegwerfen zu wollen, anstatt sein eigenes Geraffel, schreit sie.
Am Ende einigt man sich ehelich: Frau Hammler kehrt Scherben, Brei und Reste des Tanten-Lampenschirms zusammen, ihr Mann ist bereit, das Lampengestell, obwohl man es bestimmt noch brauchen könnte, wegzuwerfen. Dass er nicht wenigstens Schalter, Kabel und Fassung gerettet hat, bereut er, als er auf der Kellertreppe mit dem linken Fuß im Kabel hängenbleibt, sich die Fassung ins Gesicht haut, auf den Schalter steigt, der zerbricht, wobei sich ein Splitter in die Sohle seines rechten Fußes bohrt, und er so erschrickt, dass er die Kellertreppe rückwärts hinunterfällt und auf dem Lendenwirbel landet, der diesmal, sagt der Arzt, etwas länger brauchen wird, um wieder in einen frühjahrsputzfähigen Zustand zu kommen.
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