die wahrheit: Die Wäscherei in den Bergen
Alle reden nur über unsere Reichsten - was aber treibt eigentlich die Liechtensteiner um?
Jeder fragt sich derzeit, wie ein alberner Zwergstaat namens Liechtenstein zu den reichsten Ländern der Welt gehören kann. Immerhin beherbergt das winzige Staatswesen keine hochmodernen Genlabore, Technologiekonzerne oder Lottoannahmestellen, sondern neben seinen 35.000 Einwohnern nur einige Hasen, Marder, Füchse und Dachse, sowie etwa 100.000 Briefkästen, auf denen nicht einmal richtige Namen stehen. Kommt man aber aus dem eher unscheinbaren Bahnhof von Vaduz und spaziert auf der goldgekachelten Hauptstraße unter seidenen Wäscheleinen einher, an denen sauber aufgereiht tropfnasse Banknoten hängen, beginnt man plötzlich zu verstehen: Wie andere Operettenstaaten auch (Monaco, Cayman-Inseln, Schweiz) lebt das Fürstentum hauptsächlich von der Geldwäsche.
Dass die Geldwäsche solch ein einträgliches Geschäft ist - viel einträglicher noch als zum Beispiel die Auto- oder die Bettwäsche -, liegt an dem nur allzu bekannten Phänomen, dass in der "Waschmaschine" halt immer "zufällig" einzelne Geldscheine "verschwinden". Das ist wie mit den Socken - von solchen Fundstücken lebt der Liechtensteiner. Und zwar recht gut: Juweliere in Liechtenstein verdienen das Fünffache dessen, was ihre Kollegen in Brüssel oder Amsterdam verdienen, Liechtensteiner Juwelenräuber sogar das Zwanzigfache. Ein Wort für Arbeitslosigkeit gibt es deshalb im alemannischen Dialekt nicht, die Worte "Sozialabgaben" und "Frauenwahlrecht" wurden erst vor wenigen Jahren importiert.
Diese paradiesischen Verhältnisse wurzeln in der ausgezeichneten Ausbildung der Landeskinder. Sobald sie das 20. Lebensjahr erreicht haben, werden sie in die benachbarte Schweiz geschickt, um dort die hohe Kunst des Geldwaschens zu erlernen. Am Bankenplatz Zürich bekommen sie sechs Semester lang die Grundlagen der Schweizer Reinlichkeit beigebracht, bevor sie mit einem feierlichen Akt in das legendäre Bankgeheimnis eingeweiht werden. Der Überlieferung zufolge wird es in einer riesigen Höhle tief unter den Bergen von einem vielköpfigen, feuerspeienden Drachen bewacht und ist angeblich so geheim, dass einem die Augen ausfallen und die Hand vergoldet wird, wenn man es zu entschlüsseln versucht.
Sobald sie ins Fürstentum zurückgekehrt sind, lernen die angehenden Jungprofis dann weitere Feinheiten des Geschäfts, vor allem die aufwendige Handwäsche, um die sich die Schweizer so gern drücken. Jeden Morgen kommen die Frauen in ihrem bunten Trachten auf dem Marktplatz zusammen und weichen das Geld in großen Holzbottichen ein. Mehrere Stunden wird es gestampft, durchgewalkt und mit einem Spezialwaschmittel behandelt, das selbst hartnäckige Flecken (Eiweiß, Blut, Drogen) schonend entfernt und dessen genaue Zusammensetzung selbstverständlich ebenfalls geheim ist. Im Hauptwaschgang wird die Herkunft des Geldes mit einem Grauschleier versehen und anschließend gründlich weichgespült - oft mit wohlriechenden diplomatischen Mitteln, die bis in die Nachbarstaaten duften. Nach dem Schleudergang ist das Geld dann praktisch wie neu.
Weil sie diese jahrhundertealte Handwerkskunst so meisterhaft beherrschen, sind die Liechtensteiner so selbstbewusst. Richtiggehend stolz sind sie aber auf ihre innige Liebe zu Barem, zu Devisen und achtstelligen Einlagen. "Trenne einen Liechtensteiner von seinem Geld, und er verliert seine Seele", sagt ein altes Sprichwort auf den Straßen von Vaduz. Und da man ausschließlich Beziehungen zu ähnlich veranlagten Menschen in aller Welt pflegt, kennt man es auch gar nicht anders.
Insbesondere Fürst Hans-Adam II. ist es zu verdanken, dass Liechtenstein einfach souveräner dasteht als die meisten anderen Staaten. Seine Charakterstärke, sein furchteinflößender Habitus und seine dämonische Aura haben seit dem Amtsantritt 1989 noch jedem Einschüchterungsversuch getrotzt. Niemand verkörpert so eindrucksvoll die entspannte Staatsräson dieses kleinen unbeugsamen Bergvolks, die da lautet: Bloß weil man mitten auf dem europäischen Kontinent lebt, eingequetscht zwischen einigen der dichtbevölkertsten und wirtschaftstärksten Staaten der Welt, von deren Infrastruktur man zu 100 Prozent abhängig ist - und bloß weil man außer ein bisschen Landwirtschaft und Bergen zum Draufrumklettern absolut nichts vorzuweisen hat, braucht man sich von den feinen Herren in Brüssel, Straßburg, London und Berlin noch lange keine Vorschriften machen zu lassen.
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