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die wahrheitDer achtzehnte Erlöser

Heute feiert der große Dichter und Zeichner F. W. Bernstein seinen siebzigsten Geburtstag.

Eine der schönsten Abteilungen in einem der schönsten neueren Gedichtbücher deutscher Zunge trägt die Überschrift "Huldigungen". Der Verfasser lobt und preist hier auf das Trefflichste, Anmutigste und Herzerwärmendste etliche Autorenkollegen wie Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, F. K. Waechter und Loriot sowie beispielsweise auch Richard Wagner und ein antikes Automobil, den R4. Der vielleicht allerschönste seiner Lobgesänge aber gilt einem unsterblichen Stoffbären und hebt an mit den Versen: "Die Welt wird immer böser. / Ich brauche siebzehn Erlöser, / und einer davon bist Du, / Winnie the Poo."

Die Rede ist selbstverständlich von F. W. Bernstein und seinem Sammelband "Die Gedichte", erschienen im Jahre 2003. Ja, Bernstein ist durchaus ein zum Rühmen Bestellter, und er rühmt nicht nur Menschen, Werke und Fahrzeuge, sondern, so erkannte der hellsichtige Kombattant Henscheid schon vor Jahren, "letztlich sogar die finstere Schöpfung und ihre stockfinsteren Kausalitätswürgereien als solche". Einen Zeitgenossen allerdings lobt Bernstein nie: sich selbst - in eigener Sache war und ist er einer der Stillsten und Dezentesten auf dem medialen Jahrmarkt; er ist der George Harrison der Neuen Frankfurter Schule, jener sagenumwobenen Zeichner- und Autorenkorona ... aber der Reihe nach.

Vor genau siebzig Jahren erblickte der große F. W. Bernstein als kleiner Fritz Weigle im schwäbischen Göppingen das Licht jener Welt, der er später so eindrücklich huldigen sollte, wohingegen er sein eigenes Licht stets unter den Scheffel ... doch das hatten wir ja schon. Auf der Stuttgarter Kunstakademie traf der junge Bernstein 1956 den jungen Gernhardt - der Rest ist Komikgeschichte: Nach gemeinsam absolviertem Studium (Bernstein über Gernhardt: "Ich habe am meisten von ihm und mit ihm zusammen gelernt") traten die Nonsens-Dioskuren 1964 in die Redaktion des zu Frankfurt ansässigen Satireblatts Pardon ein; im Trio-Verbund mit F. K. Waechter ward dessen legendäre parodistische Doppelseite "Welt im Spiegel" (WimS) aus dem dürren Nachkriegsboden gestampft - und mit den artverwandten Geistern Henscheid, Pit Knorr, Chlodwig Poth, Hans Traxler und Bernd Eilert wie von ungefähr die Neue Frankfurter Schule formiert.

Man dichtete, erzählte, zeichnete, illustrierte und filmte sowohl einzeln als auch in wechselnden Konstellationen (Bernstein: "Was mir immer eine Besonderheit der NFS schien: Jeder konnte mit jedem und jeder hat mit jedem kooperiert"), und so erstand nichts Geringeres als eine wundersame Renaissance literarischer und grafischer Hochkomik in deutschen Landen. 1979 ließen die Gründungsmitglieder als neues Flaggschiff der Sinnfreiheit die Titanic zu Wasser, übergaben diese aber in der Folgezeit jüngeren Kräften und wechselten nach und nach von der kollektiven Pressearbeit in die solistische Produktion. Die Neue Frankfurter Schule jedenfalls ist nach langen Jahren der Missachtung durch kulturelle Gralshüter aus Feuilleton und Wissenschaft mittlerweile längst kanonisiert und in Reclams Universalbibliothek angekommen; die Dissertationen und Preise stapeln sich: Bernstein erhielt kürzlich rechtzeitig zum Wiegenfest den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor.

Bernstein beschränkte sich freilich nicht auf die freie Kunstausübung: Als einziges Mitglied der NFS nahm er den Gruppennamen wörtlich und trat in den pädagogischen Dienst am Volke. Zunächst als Lehrer im Hessischen, später als Kunsterzieher an der PH Göttingen, seit 1984 schließlich als landesweit einziger Professor für Karikatur und Bildgeschichte an der Berliner Hochschule der Künste widmete er sich dem zeichnenden und illustrierenden Nachwuchs. Wer je eine Bernstein-Schülerin oder einen Weigle-Eleven leuchtenden Auges von des Meisters Zeichenstunden hat schwärmen hören, der begreift, dass der schwindelerregend Vielseitige auch als Lehrer und Inspirator ein ausnahmehaft Berufener sein muss. Im Übrigen sei an dieser Stelle betont, dass die NFS ganz generell Schule gemacht hat wie kaum eine andere deutsche Künstlergruppe des vergangenen Säkulums; eine erkleckliche Zahl von ihr initiierter und entflammter Autoren/Zeichner trägt die Fackel der Hochkomik weiter.

Ist aber F. W. Bernsteins Werk nun vornehmlich als Teil eines Kollektivprojektes zu betrachten und zu würdigen? Eben nicht. Zwar zeigen die Arbeiten der NFSler weithin augenfällige Gemeinsamkeiten, so beispielsweise das komikerzeugende Spiel mit disparaten Stilebenen und Idiomen oder die vielfältige Paraphrasierung literarischer Traditionen. Bei Bernstein etwa klingt oft der Sehnsuchtston des Freiherrn von Eichendorff an. Bemerkenswerterweise aber haben die Gruppenmitglieder gleichwohl jeweils einen prägnanten Personalstil entwickelt - dies gilt für FWB in besonderem Maße.

Von seinem unverwechselbar leichthändig-plastischen, dabei technisch enorm variantenreichen zeichnerischen Strich ganz abgesehen: Als Lyriker gelingt Bernstein durchweg das rare Kunststück, auf dem komischen Feld wahrhafte Poesie zu erzeugen - und nicht etwa bloß gereimte Witze, deren Wirkung mit einer Pointe verpufft. Bernstein-Gedichte machen heftig lachen; fast immer aber eignet ihnen eine zusätzliche, oft entzieherisch-surreale Qualität, die in Bezirken wurzelt, wo Sprach- und Dingwelt ein unauflösliches Amalgam bilden. Um es in Bernstein-Versen zu sagen: "Horch - ein Schrank geht durch die Nacht, / voll mit nassen Hemden ... / den hab ich mir ausgedacht, / um Euch zu befremden." Die böser werdende Welt, hier ist dem Dichter zu widersprechen, kommt mit siebzehn Erlösern nicht mehr aus, sie bedarf eines achtzehnten: F. W. Bernstein.

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