die wahrheit: Berlin ohne Busfahrer
Eine Traumstadt.
Berlin ist und bleibt die Hauptstadt von Absurdistan. Wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautete, gibt es jetzt zum ersten Mal in einem besetzten Haus in Berlin, in der Kreuzberger Manteuffelstraße, eine Putzfrau. Eine Putzfrau! In einem besetzten Haus! Früher hatten die Punks und Penner auf den Straßen und Plätzen einen Hund, damit wenigstens einer noch unter ihnen war. Heutzutage haben Hausbesetzer Putzfrauen. Dit is Ballin, wa!
In Berlin wird derzeit der öffentliche Nahverkehr bestreikt - von Gutverdienern, die noch mehr wollen. Seit Tagen versuchen die Bus- und U-Bahnfahrer die Stadt lahmzulegen, doch deren Insassen wehren sich: mit Fahrgemeinschaften, mit Taxi- und S-Bahn-Fahrten, mit dem Rad oder schlicht zu Fuß. Man sieht Bürohengste, die sonst keinen unnötigen Schritt machen, weite Wege gehen, und Damen, die sich gewöhnlich auf ihren Fettpölsterchen ausruhen, sportlich in die Pedale treten. Der alte Werbespruch der Berliner Verkehrsbetriebe "Schnelle Verbindungen für eine schnelle Stadt" ist zwar längst außer Kraft gesetzt, aber plötzlich merken alle: Es geht auch langsam. Es geht auch ohne BVG. Angekommen sind bis jetzt noch immer alle.
Die Busfahrer der BVG bekräftigen derweil ihren Ruf als die Palästinenser Berlins: rundum versorgt, immer auf Ärger aus und beherrscht von einer Mischung aus Selbstmitleid und Selbstüberschätzung. Mit 50 könne man wegen des Rückens nicht mehr auf dem Bock sitzen, jammern sie ständig. Dann hätten sie eben in der Schule aufpassen und etwas Vernünftiges lernen sollen. So aber machen sie ihren Busführerschein und verdienen in Berlin so viel wie ein Arzt im Krankenhaus. Und als Abschlusszeugnis dient das Piefke-Blatt BZ, das bevorzugt auf der Frontablage liegt und dem Fahrgast an der Haltestelle bereits von weitem als Ausweis der Gesinnung entgegenleuchtet. Sobald dann der Fahrgast zusteigt und freundlich fragt, ob der Fahrer die einzelnen Haltestellen ansagt, wird ihm eine knorke Antwort um die Ohren gehauen: "Dit macht meene Sekretärin!" Das muss der gefürchtete Berliner Mutterwitz sein. In Spree-Athen haben Hausbesetzer eben Putzfrauen und Busfahrer Sekretärinnen, selbst wenn es nur ein Ansageband ist.
Warum wohl sind Busfahrer dauernd in gewalttätige Auseinandersetzungen mit Jugendlichen meist türkisch-arabischer Provenienz verwickelt? Weil mit den Uschis vom Schlage Bushido und den Führern der gelben Doppeldecker zwei Gruppen aufeinander treffen, die beide angetrieben werden von ganz ähnlichen Ohnmachts- und Allmachtsfantasien.
Die erstaunlichste Erkenntnis nach all den Streiktagen aber ist: Die Berliner brauchen die Busfahrer überhaupt nicht. Wie es in Berlin immer so ist, hat sich gleich ein Parallelsystem gebildet. Gedankt sei der ewigen Parallelgesellschaft, die Berlin stets überleben lässt. Die Berliner haben schon die Machtergreifung der Nationalsozialisten, die Blockade Stalins, die Dummdreistigkeiten der Springer-Presse, die Heimtücke der Stasi und den Einfall der Ostler überstanden, da fällt dieser kleine Streik nicht weiter ins Gewicht. Die Busfahrer kommen und gehen, Berlin wird weiter bestehen.
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