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die wahrheitWer zuckt, der fliegt

Lebende Standbilder sind derzeit gefragt. Eine Agentur aus Thüringen bringt sie für wenig Geld in jedes Haus.

"Geld ist da, nur keine Stimmung." Eugen Erdmanns Gegenwartsdiagnose ist hart, aber präzise. Deshalb hat er im Jahr 2004 die Agentur "EE - Entertainment im Eigenheim" gegründet. "Wir bringen Sie zu Hause aus dem Häuschen", so ihr Slogan. Aber nicht nur daheim, im Familienkreis, auch auswärts, bei Firmenjubiläen oder Gedenkfeiern. Und das ganz ohne große Action, dauersabbelnde Animateure oder Special Effects. Erdmanns Agentur ist spezialisiert auf "Lebende Standbilder", bekannt aus den Fußgängerzonen dieser Welt. "Freiheitsstatuen, Schaufensterpuppen, Mumien - alte Hüte!" Erdmann hat kurzerhand das Repertoire erweitert, an die Bedürfnisse der Kunden angepasst. Jede Menge extravagante Varianten kann er bieten, ab hundert Euro aufwärts, ja nach Gusto und Geldbeutel.

Den Standort seiner Agentur hat Erdmann gut gewählt: Suhl, in Thüringen, wo Traditionen groß- und Löhne kleingeschrieben werden. Die Nähe zu den einkommensstarken Franken zahlt sich aus. Auch die zu den osteuropäischen Nachbarn. Viele Tschechen und Polen hat Erdmann unter Vertrag. "Gute Seelen, gute Körper." Ob Sachsen, Sorben, Serben, Erdmann gibt jedem eine Chance. Ob mit oder ohne Schulabschluss, mit oder ohne Deutschkenntnisse, mit oder ohne Papiere. Andere Qualitäten sind gefragt: Standfestigkeit, Belastbarkeit, Körperbeherrschung. Mimik, Mundwerk und Blase muss man im Griff haben können, da kennt Erdmann kein Pardon: "Wer zuckt, fliegt."

Die Auftragslage ist bestens. Vor allem in den Weihnachtstagen, als Highlight an Heiligabend, wenn die Leute ihren Liebsten eine besondere Freude bereiten und die Zeit totschlagen wollen. Der Renner: "Nussknacker im Husarenlook aus dem Erzgebirge", schwarzer Hut, schwarze Stiefel, rote Hose, blaues Hemd, grauer Bart, steht hölzern und reglos im Raum und klappt den Unterkiefer hoch und runter. "Der Clou ist, dass der Nussknacker echte Nüsse knackt. Ob Hasel- oder Walnüsse, einzeln oder handvoll - die Gäste können dem Nussknacker so viele Nüsse in den Mund schieben, wie sie mögen. Der verliert dabei weder Lächeln noch Speichel", prahlt Erdmann mit seinem neuesten Patent. Er weiß: interaktive Elemente ziehen.

Sein zweites Steckenpferd für die Adventszeit ist das "Räuchermännchen aus dem Erzgebirge": rote Zipfelmütze, grüner Mantel, eine Laterne in der einen, eine Pfeife in der anderen Hand, weißer Wattebart. Hält man ihm eine Kerze unter den Hintern, kommt echter Rauch aus dem Mund. Wie das funktioniert, will Erdmann nicht verraten. "Betriebsgeheimnis", orakelt er.

Erdmann weiß: Nicht nur Ästhetik, auch Funktionalität ist gefragt. So haben etwa seine Kunden bei Gartenfesten die Qual der Wahl: Wasserspeier, Glühwürmchen oder Heizpilz, bestückt mit Leuchtdioden oder Heizspiralen. Oder für drinnen, ein lebender Schokoladenspringbrunnen, ein Garderobenständer, oder - repräsentativer - eine Marmorsäule.

Selbst für die intime Atmosphäre, für die Hochzeitsnacht zum Beispiel, hat er etwas im Angebot: ein Bärenfell vorm Kamin. "Dafür hab ich immer einen haarigen Bulgaren in der Hinterhand", sagt Erdmann.

Unter www.ee-erdmann.de vermietet er seine Jungs auch als Dachschmuck, Schwindelfreiheit vorausgesetzt. Als Blitzableiter, als Ernte- oder Richtkrone, mit Tannenzweigen und rot-blauen Bändern. "Mit uns wird jedes Richtfest zum Event." Oder als Vogelscheuche, buchbar bis zu zwei Wochen am Stück. Oder als Pappkameraden, für schlecht besuchte Beerdigungen. Oder als Ablenkungsobjekt, damit die Erwachsenen ungestört feiern können: für die Kinder eine Lebende Hüpfburg, für Oma ein Seelenmülleimer, der ihr den ganzen Abend zur Seite steht. Auch Großveranstaltungen beliefert Erdmann, zum Beispiel mit einem kleinwüchsigen Afrikaner, als Trauerklos für die Charity-Gala. Das ZDF zählt zu Erdmanns besten Kunden. Oder Strohmänner für Firmenfeste, Siemens hat schon zugeschlagen. "Nur Frauen sind leider kaum verwendungsfähig. Lediglich die Matrjoschka und der liegende Akt laufen gut. Aber: Anfassen ist nicht. Nur gegen Aufpreis", sagt Erdmann.

Der Lohn seiner Mitarbeiter: "3,50 Euro die Stunde plus die Reste vom Buffet. Mehr geht beim besten Willen nicht. Ich sage nur: Die Nebenkosten, das muss ich ja alles mit einrechnen. Verschleißerscheinungen, Gebrauchsspuren?" Die meisten seiner Leute sind damit zufrieden. Milan Bodor nicht. Der Ungar hat der Agentur den Rücken gekehrt und sich selbstständig gemacht, verdingt sich jetzt im Raum Nürnberg als lebende Gulaschkanone. Bald will er expandieren. Mit Bodor ist Erdmann auf Kriegsfuß, ihr Kampf um den besten Webauftritt der Branche hat gerade erst begonnen.

Seit kurzem offeriert Erdmann seinen Mitarbeitern auch Aufstiegschancen: Zum "Walk Act", wie er Standbilder mit Bewegungselementen nennt. Erdmanns neueste Erfindung: Das "Stehaufmännchen aus dem Erzgebirge", ideal für Junggesellenabschiede oder Burschenschaftsfeten, mit roter Nase, blauer Latzhose und lustigem Hut. Der Job ist schon anspruchsvoller, nicht nur Steh-, auch Aufstehvermögen ist gefragt, sondern auch ein exzellenter Gleichgewichtssinn.

ELLA CARINA WERNER

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