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die wahrheitZiviler Bürger auf weißem Schimmel

Kommentar von Rudolf Walther

Beim intellektuell aufgepumptem Blödsinn weiß man meistens nicht so genau, womit alles angefangen hat.

Beim intellektuell aufgepumptem Blödsinn weiß man meistens nicht so genau, womit alles angefangen hat. Zum Beispiel die Rede von der "Zivilgesellschaft". Plausibilität und Substanz hatte der Begriff "Zivilgesellschaft" im Blick auf die kommunistischen Diktaturen, wo es keine gesellschaftliche Sphäre und entsprechende Organisationen gab, die als Mittler beziehungsweise Interessenvertreter auftraten zwischen Herr und Knecht, zwischen dem Staat, der befiehlt, und den Individuen, die gehorchen.

Der Mangel an Freiheit konnte in diesen durchstaatlichten Gebilden bündig erklärt werden mit dem Mangel an freier gesellschaftlicher Bewegung in Vereinen und Clubs, Parteien und Interessengruppierungen aller Art. Dass dieser Tatbestand den Namen "Zivilgesellschaft" beziehungsweise "zivile Gesellschaft" erhielt, ist plausibel und verwies jedoch auf etwas Nichtexistierendes.

Aber dann redeten plötzlich alle von der existierenden "Zivilgesellschaft" - außer Maggie Thatcher, die nicht einmal "so ein Ding wie Gesellschaft" ("such a thing like society") kennen wollte. Frau Thatcher ist gelernte Chemikerin. Die Übertragung des Begriffs "Zivilgesellschaft" auf die - vereinfacht gesagt - "westlichen" Gesellschaften war theoretisch von Anfang an eine Improvisation, denn hier ist eine staatsfreie gesellschaftliche Sphäre nicht nur vorhanden, sondern obendrein rechtlich geschützt.

Wie immer bei solchen Improvisationen sollten Anleihen aus der Geschichte den Fall klären. Dem Leerwort "Zivilgesellschaft" musste die historische Aura verleihen, was ihm an Inhalt und Konsistenz in der Gegenwart abgeht. Das führte auf Abwege, denn seit der Antike und bis zur Französischen Revolution meinten die Begriffe "societas civilis", "société civile", "civil society" und "bürgerliche Gesellschaft" nichts anderes als das, was man heute Staat nennt. Ein deutsches Lexikon von 1777 definiert "Republik" als "bürgerliche, aus mehreren häuslichen Gesellschaften zur Erhaltung äußerer Sicherheit zusammengesetzte Gesellschaft, welche auch ein Staat genannt wird". Erst die moderne, von Hegel geprägte nachrevolutionäre Begrifflichkeit unterscheidet zwischen "Staat" und "Gesellschaft" beziehungsweise "bürgerlicher Gesellschaft". Die Trennung ist für die Moderne axiomatisch-elementar.

Vollends konfus ist die Rede von der "zivilen Bürgergesellschaft", womit sich einige Autoren aus ihrer Verlegenheit retten möchten. Zum Testen solcher Klügeleien gibt es eine ganz einfache Methode: Man versuche nur einmal "zivile Bürgergesellschaft" in eine andere Sprache zu übersetzen!

Ins Lateinische übersetzt lautete das Wort "societas civium civilis", ins Englische "civil society of citizens". Im Deutschen fällt die sinnlose Verdoppelung des Wortstamms nicht auf, weil man dort einmal eindeutscht, das heißt: den "civis"/"citizen" zum "Bürger" macht und das Adjektiv "civilis"/"civil" latinisiert als "zivil" belässt. Ohne diesen Wortzauber entstünde aus der "zivilen Bürgergesellschaft" das Prachtstück "bürgerliche Bürgergesellschaft" und jedermann sähe auf Anhieb, worum es sich dabei handelt - um einen "weißen Schimmel".

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