die wahrheit: Unterm Halbmond wird gejodelt
Die Kümmel-und-Knoblauch-Woche der Wahrheit: türkischer Sex und geheime Wünsche.
Ahmet Bültürünlür sitzt vor seinem Teppichladen in Marmaris und nuckelt vergnügt an seiner Wasserpfeife. Die Sonne scheint, und Ahmet taxiert mit Kennerblick den Strom der vorbeiflanierenden Touristen. Vor allem die Touristinnen. Hat er eine fremdländische Schöne entdeckt, spricht er sie an und lotst sie mit charmanter Überredungskunst in sein schummriges Ladenlokal, das den beziehungsreichen Namen "Teppich & mehr" trägt. "Wenn ich sie erst einmal in meiner Teppichhöhle habe, gibt es kein Entkommen mehr", erzählt der drahtige Mittdreißiger in perfektem Deutsch. Der Mischung aus orientalischen Liebesschwüren, Serailatmosphäre und flauschigen Teppichstapeln können die wenigsten widerstehen. "Und wenn ich den Schönen des Westens meinen Spezialtee serviere, haben sie schon verloren." Die Geheimrezeptur seines Liebestranks verrät Bültürünlür selbstverständlich nicht, aber, so viel gibt er immerhin preis, unverzichtbare Bestandteile sind Kümmel und Knoblauch. "Der unwiderstehliche Duft dieses Tees lässt alle Frauen schwach werden. Und wenn sie ein Glas davon getrunken haben, sind sie Wachs in meinen Händen."
So wie Ahmet Bültürünlür machen es tausende türkischer Boutiquenbesitzer, Bademeister, Museumswärter und Fremdenführer. Kümmel und Knoblauch entfalten aber nicht nur ihre verführerische Wirkung auf die holde Weiblichkeit, sie beflügeln auch die Manneskraft türkischer Casanovas ungemein. Mehmet Dagosoglu kann davon mehr als nur ein Lied singen. Der glutäugige Lkw-Fahrer, der mit seinen vierzehn Ehefrauen in Kayseri wohnt, ist von der potenzsteigernden Wirkung des Wundertranks restlos überzeugt. "Knoblauch und Kümmel stärken den Lümmel" rezitiert Dagosoglu ein altes anatolisches Sprichwort, bevor er genüsslich eine Scheibe Pastirma in den Mund schiebt. Das ortstypische, stark gewürzte Rindfleisch sei "besser als Viagra", meint er mit einem schelmischen Lachen, "und viel besser als getrocknete Haifischflossen". Deswegen sei es für ihn auch nie ein Problem gewesen, eine seiner vielen Frauen zufriedenzustellen. "Und wissen Sie was", gibt er dem perplexen Reporter mit auf den Weg, "damit könnte ich noch viel mehr Frauen glücklich machen!"
Mag dieser Fall von offiziell verbotener Vielweiberei in der modernen Türkei auch nur eine skurril-nostalgische Reminiszenz an altosmanische Gepflogenheiten sein, zeigt er doch, wie vehement es den türkischen Mann zum Weibe zieht. Gürhan Emer scheint der Richtige, uns über die geheimen Wüsche und Sehnsüchte seiner Landsleute aufzuklären. Schwüle Arabesk-Musik tropft wie türkischer Honig aus den Lautsprechern, die er am Eingang zu seiner Videothek in Istanbul angebracht hat. Emer ist der unumstrittene Experte des Viertels, kein menschlicher Trieb ist ihm fremd und in Sachen Sexleri reicht ihm so schnell keiner die Wasserpfeife. Doch er ist nicht nur ein gewiefter Geschäftsmann, sondern echter Liebhaber vor allem türkischer Pornoproduktionen. "Bei mir im Laden finden Sie alles, was in der Türkei auf dem Markt ist", berichtet er stolz und zeigt dem Besucher bereitwillig seine Schätze. Da finden sich solche Preziosen wie "Unterm Halbmond wird gejodelt" ("sehr schön"), "Die Verführung in dem Serail" ("sehr anspruchsvolle Adaption der Mozart-Oper mit nackten Sängerinnen") oder Türkporno-Klassiker wie "1001 Betten". Man hätte Lust zu verweilen und den angeregten Inhaltsangaben Emers weiter zu lauschen oder zumindest das ein oder andere Kassettleri aus dem in jeder Hinsicht üppigen Sortiment mitzunehmen, doch die Zeit drängt, und "Sulaila und das Goldene Horn" müssen auf eine stillere Stunde warten. Wir sind mit Ayse Yildirim verabredet, die mit ihrer Familie in einem alten Istanbuler Holzhaus wohnt. Die Dreißigjährige im modernen Hosenanzug bittet uns in den Salon. Ayse soll uns erklären, wie die durchschnittliche türkische Hausfrau lebt. Sie soll uns erklären, wie türkische Frauen reagieren, wenn ihnen die ewige Anmache und das unentwegte Liebesgestammel einfach auf den Baklawa geht. Was sie machen, wenn sie von dem überbordenden Sexgeprahle der türkischen Männer endgültig den Teekessel voll haben. Was machen sie, wenn sie endlich mal in aller Ruhe ein gutes Buch lesen, die neueste TV-Soap anschauen oder mit ihren Freundinnen einfach ein gemütliches Schwätzchen halten wollen. "Dann hilft nur die K-&-K-Kur - strikter Verzicht auf Kümmel und Knoblauch!", erklärt die Mutter von drei Kindern ohne zu zögern. Auch wenn ein türkisches Gericht ohne die beiden Ks eigentlich kaum vorstellbar sei, aber da müsse ihr Mann einfach durch. "Dann schmeckt ihm das Essen nicht mehr, und er entwickelt auch sonst keinen rechten Appetit. Und wie lange muss er schon diese härteste aller Diäten ertragen, wollen wir wissen. "Nun, das dürften jetzt an die drei Jahre sein", gibt Ayse schmunzelnd zu Protokoll. Ich denke, ich habe ihm die Sexbesessenheit jetzt endgültig abgewöhnt.
Übrigens", fügt sie mit einem schelmischen Augenaufschlag hinzu, "darf ich Ihnen vielleicht ein kleines Kümmelschnäpschen anbieten?"
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