piwik no script img

die wahrheitDie beige Verschwörung

Eine halbdunkle Gefahr bedroht offenbar die ahnungslose Menschheit. Man sieht sie überall, sie wirken freundlich und harmlos und sind aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken: Rentner und Senioren.

Gemeingefährliche Weltverschwörer auf dem Weg in einen ihrer unterirdischen Tempel. Bild: ap

Man sieht sie überall, sie wirken freundlich und harmlos und sind aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken: Rentner und Senioren. Und allesamt tragen sie ausschließlich Windjacken und Anoraks im sogenannten Rentnerbeige. Ganze Wissenschaftszweige beschäftigen sich schon mit diesem Phänomen. Der vorherrschenden Theorie zufolge, trägt jeder Mensch ein gewisses Beige-Gen in sich, das, sobald der Betroffene ein bestimmtes Alter erreicht hat, aktiv wird, und den Rentner bei der Auswahl eines neuen Kleidungsstücks mit traumwandlerischer Sicherheit nach einem beigen Anorak oder einer beigen Jacke greifen lässt.

"Dagegen lässt sich gar nichts machen", so Prof. Dr. Ulrich Luttermann vom Biologischen Institut der Universität Münster. "Dieses Verhalten ist im Menschen fest angelegt, die Natur will es so." Luttermann hat eigens ein Forschungsteam aus sechs ambitionierten Wissenschaftlern zusammengestellt, das sich eingehend mit dieser Thematik befasst. Nach seiner These stammt das Beige-Gen noch aus Zeiten unserer Urahnen.

In seinem Artikel "Kleiner Beitrag zur atavistischen Regeneration des Beige-Gens bei Rentnern und Senioren" in der Fachzeitschrift Atavismus Heute schreibt Luttermann: "Neueste sensationelle Knochenfunde in Nordafrika haben bewiesen, dass schon die alternden Steinzeitmenschen sich lieber in Rentnerbeige wandeten - im Gegensatz zu ihren jüngeren Artgenossen, die in schrillen Farben und bunten Bemalungen auf die Jagd gingen. Der Grund hierfür liegt klar auf der Hand: Das Beige war eine Tarnung, welche die älteren Hordenmitglieder, die schwach und nicht mehr wehrhaft waren, vor Raubtieren und anderen Bedrohungen schützen sollte. Das Beige verschmolz völlig mit dem Grau der Höhlen und dem Gelb des Sandes und machte den Träger dieser Farbe quasi unsichtbar …"

Dieses Verhaltensmuster, so glaubt Luttermann, habe sich bis in die heutige Zeit erhalten. "Man kann sich als junger Mensch schwören, im Alter kein Beige zu tragen - man wird dennoch spätestens mit sechzig Jahren zur beigen Windjacke greifen."

Und weiter führt er aus: "Dabei können die Farbtöne durchaus changieren, es gibt unzählige, wenn auch kaum merkliche Unterschiede. Bei älteren Damen beispielsweise darf das Beige gern schon mal den Hauch eines kecken Violett andeuten, beim Herrn spielt es zuweilen verwegen in ein zu ahnendes Grünlich oder Hellbraun hinein. Zuweilen sieht man - bei den ganz mutigen Senioren - sogar verspielte, farblich ein wenig abgesetzte Bündchen oder Kragen. Aber der Grundton ist vom Erbgut fest vorgeschrieben und unabänderlich: Beige!"

Der Weltverschwörungstheoretiker Samuel Holzvogel hält von Luttermanns Theorie allerdings gar nichts. Als Gastexperte während der Aufzeichnung einer Sondersendung von "Galileo Mystery" poltert er: "Das ist alles Unsinn, was dieser Luttermann und seine Doktorchens sich da zusammenfabulieren. Beige-Gen - was für ein Unfug. Noch vor hundert Jahren trugen die alten Leute auch kein Beige, sondern Schwarz."

Holzvogel redet sich richtig in Rage: "Nein, nein, da steckt etwas ganz anderes hinter, etwas Großes, etwas Bedrohliches. Eine unfassbar gefährliche Organisation zieht hinter den Weltkulissen die Fäden. Diese alten Leute sind nicht so harmlos, wie sie gern erscheinen wollen, sie sind gefährlich. Sie sind Teil einer Vereinigung, deren Macht und Größe wir noch nicht einmal im Traum erahnen können. Die Illuminaten sind eine Sandkastentruppe dagegen!" Samuel Holzvogel senkt seine Stimme: "Sie wollen nichts Geringeres, als die endgültige Weltherrschaft. Sie sind viele, sie sind überall. Sie kommunizieren mit verschiedenen Beigetönen untereinander, farblich abgesetzte Bündchen und Kragen zeigen den Rang in der Organisation an, es gibt Gesellen, Großmeister und Minister. Sie alle unterstehen einem Triumvirat, dessen Mitglieder die mächtigsten Männer der Welt beeinflussen. Nachts treffen sie sich in unterirdischen Tempeln und beten bei Fackelschein und monotonen Gesängen eine riesige Wanne voll beiger Wandfarbe an. Und sie formieren sich immer stärker, es wird nicht mehr lange dauern, bis sie zuschlagen, ich fühle die Bedrohung …"

Holzvogel schnappt nach Luft und ist außerstande, weiterzusprechen. Ob er mit seiner erschreckenden und beängstigenden Theorie recht hat, das wird die Zukunft zeigen.

Fakt ist aber, dass bereits jetzt etwas im Gange ist, das bisher von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ist und befürchten lässt, dass Prof. Luttermann mit seiner harmlosen These vom atavistischen Beige-Gen falsch liegt, während Samuel Holzvogel tatsächlich näher an der Wahrheit ist, als uns allen lieb sein kann: In bisher noch sehr kleinen Kreisen bestimmter Jugendszenen ist seit einiger Zeit eine beunruhigende "Verbeigeung" zu beobachten. So sind die schwarzen "Gruftis", die früher die Gothic-Szene beherrschten und in Särgen schliefen, so gut wie völlig verschwunden. An ihre Stelle sind "Beigeis" getreten, die rentnerbeige Strickjacken tragen und einen besonderen Kick dabei empfinden, in großen Ohrensesseln zu sitzen.

Hat sie bereits begonnen? Die Machtübernahme? Die Verbeigeung der Welt? Hoffen wir einmal, dass es nicht zum Allerschlimmsten kommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • S
    Sonder

    Mal ehrlich, hätte man den Artikel nicht schon ein paar Tage früher bringen können? Letzten Samstag habe ich mir - da er als Weihnachtssonderangebot ausgewiesenen war - einen grasgrünen Anorak gekauft. Peinlich. Wie stehe ich jetzt da?