die wahrheit: Der homosexuelle Mann ...
... braucht seine Idole, Vorbilder, zu denen er aufschaut oder an denen er sich ein Beispiel nimmt. Vor allem wenn er jung ist, seine zweite Pubertät durchlebt und tastend entdeckt, dass er ...
... mehr den Jungs nachschaut als den Mädels. Als ich siebzehn war, hingen die Bilder zweier Männer an meiner Jugendzimmerwand, die von Rosa von Praunheim und Oscar Wilde. Rosas Filme waren mir zwar gänzlich unbekannt und von Oscar Wilde hatte ich nur ein paar kluge Kalendersprüche gelesen. Aber von beiden wusste ich, sie waren homosexuell. Ich selbst war längst noch nicht so weit, hatte aber intuitiv auf die richtigen Beobachter meiner Wirrungen gesetzt. Beide symbolisierten mir die Möglichkeit eines anderen Lebens, von dem ich nur dunkel etwas ahnte. Da draußen, versprachen sie, gibt es eine Welt, die es noch zu entdecken gilt. Nicht ganz so einfach hatten es unsere Vorväter. Zwar stand ihnen der ewiggleiche Kanon homoerotischer Größen zur Verfügung - aber was wussten sie schon wirklich über Thomas Mann, Alexander den Großen, William Shakespeare, Michelangelo oder Peter Tschaikowsky? Nichts weiter als Gerüchte, Mutmaßungen, Wunschfantasien. Mehr wollte man aber auch nicht wissen. Für die diskriminierte und verfolgte Homo-Seele reichte es aus, sich an ein paar Denkmäler anzulehnen und sich dabei einzubilden, sie hätten genau so geliebt und vielleicht sogar so ähnlich gelebt wie man selbst. Was für eine Genugtuung!
Der junge homosexuelle Mann von heute hat da ganz andere Möglichkeiten, sein Angebot verehrungswürdiger Gleichgeschlechtlicher vergrößert sich ständig. Doch nicht jeder schwule Promi taugt zum Idol. Da müssen schon ein paar Voraussetzungen erfüllt sein: Jung sein muss der Mann, hübsch anzusehen, ein Vorbild für Mode und Lifestyle, und - ganz wichtig - erfolgreich sein im heterosexuellen Mainstream, trotz oder gerade wegen seiner Homosexualität. Da haben Männer wie Alfred Biolek, Hape Kerkeling, Dirk Bach oder Guido Westerwelle keine Chance, sie hängen an keiner Jugendzimmerwand. Nein, so einer wie Peter Plate von Rosenstolz muss es sein oder Rufus Wainwright, Ross Antony, Sieger der RTL-Dschungelshow von 2008, oder T. R. Knight aus Greys Anatomy, Großbritanniens Pop-Idol Will Young oder der schottische Schauspieler Alan Cumming. Ein paar andere - wie Wentworth Miller, Ricky Martin oder Richie Stringini - stehen noch auf der Wunschliste schwuler Fans, doch ist bei ihnen noch nicht abschließend geklärt, ob sie der Verehrung wert sind oder nicht.
Wirklich schwer, als schwule Vorbilder die Herzen zu erobern, haben es jene Helden, die tatsächlich für ihre Belange auf die Barrikaden gestiegen sind. Unlängst war bei einem Treffen unter neun Schwulen gerade mal einer dabei, dem der Name Harvey Milk etwas sagte. Milk, der erste Märtyrer der Schwulenbewegung der Neuzeit und Titelfigur eines Biopics, das Hollywood in diesem Jahr in die Kinos schickt, taugt offensichtlich gar nicht zum Posterboy, genauso wenig wie Magnus Hirschfeld oder Karl Heinrich Ulrichs. Ihre Namen kennt kaum noch einer, auch wenn ihr Wirken jede Zeit überdauert, viel länger als jeder Hit von Rosenstolz oder Will Young.
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