die wahrheit: Der Tigra von Eschnapur
Sensation in der Autobranche: Neuer Opel-Besitzer kommt aus Indien.
Opel in der Krise - und schuld ist die böse Schwiegermutter GM. So jedenfalls sehen es die Mitglieder eines der größten Geheimbünde Deutschlands: die Opelaner. Deren Erkennungszeichen ist der Fuchsschwanz an der Antennenspitze, bei höheren Chargen sind es die Rallyestreifen und der Großmeister des Ordens ist am Vollgummi-Heckspoiler auf dem Kofferraumdeckel zu erkennen. Eines aber eint die Mitglieder dieses obskuren Zirkels - die unbedingte Treue zu den mit eigener Hände Arbeit hergestellten Opel-Fahrzeugen. Eher würde sich der Opelaner die Hand abhacken als sich hinter das Steuer eines Fremdfabrikats zu klemmen.
Und jetzt soll nichts mehr gehen und ausgerechnet Fiat die maroden Rüsselsheimer aus der Patsche ziehen? Der Opelaner wendet sich mit Grausen und lässt entmutigt den Schraubenschlüssel fallen. "Die Turiner Blechkisten sind ja noch windiger als unsere", echauffiert sich einer, der es wissen muss. Karl Oblowski steht seit 30 Jahren bei Opel am Band und kennt die wahren Gründe für den Niedergang der Traditionsmarke mit dem Blitz. Damals durfte er noch liebevoll den Kadett B zusammendengeln, heute verschwendet er seine geballte Erfahrung an ein Gefährt namens Insignia. "All die guten und beliebten Modelle wurden durch schlechte und beliebige ersetzt. Früher Manta - heute Astra, das sagt doch alles. Früher der Omega, ein echtes Raumwunder - heute Insignia. Da fällt dir doch die Radkappe ab, wenn du diese Karre schon siehst. Aber uns fragt ja keiner, die Modellpolitik wird ja von den feinen Herren im edlen Zwirn gemacht."
So wie Oblowski denken die meisten Opelaner, die noch mit dem Kapitän, Admiral oder Diplomat großgeworden sind. Eine drohende Übernahme durch Fiat stürzt diese Menschen in die tiefste Sinnkrise seit Einführung des Seitenairbags. Aber die deutsche GM-Tochter wird auch von anderen Interessenten umworben. Magna wird häufig genannt und der eine oder andere arabische Staatsfonds. Doch den Interessenten, der nach gewohnt zuverlässigen Informationen der Wahrheit das Rennen machen wird, hatte bislang keiner der auf dem Zettel: Tata.
Eigentümer Ratan Tata, der sympathische Motormogul aus Indien, hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass er nicht vor der Übernahme aussichtsloser Kandidaten zurückschreckt. Nachdem er schon die englischen Luxusmarken Jaguar und Land Rover in sein bengalisches PS-Imperium einverleibt hat und mit dem 1.700 Euro teuren Nano preislich tief ins Billigsegment vorgestoßen ist, soll nun Opel für die bislang fehlenden Mittelklassemodelle sorgen. "Ich bin ein Rüsselsheimer", begründet der dynamische Multimilliardär sein Interesse an Opel unter Anspielung auf die in Indien verehrten Elefanten.
Aber auch sonst gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Tata und Opel, die ein Gelingen der Firmenehe unausweichlich machen. Da ist der inbrünstig beschworene Zusammenhalt in beiden Konzernen, wobei die Tataner an sektenhaftem Gemeinschaftssinn den Opelanern wohl kaum nachstehen. Auch rituelle Handlungen wie das feierliche Ablassen des Altöls an den Ufern des Ganges beziehungsweise Mains werden in beiden Firmenkulturen gepflegt.
Selbstverständlich müssen die europäischen Opel-Modelle den Gegebenheiten des sich erst entwickelnden indischen Automarkts angepasst werden. Corsa, Astra oder Insignia haben beim Inder einen schlechten Klang. Aber mit dem kompakten Opel Krishna oder der geräumigen Familienkutsche Opel Karma lassen sich die Schlangenbeschwörer und Tempeltänzerinnen vom Subkontinent wohl durchaus von den Räucherstäbchen weglocken. Einen Marketingcoup hat der umtriebige Tata jedenfalls schon gelandet. In dem Bollywood-Remake eines Fritz-Lang-Klassikers wird die deutsch-indische Autoehe publikumswirksam promoted. Ein sportlicher Flitzer aus der Opel-Produktion spielt in der Actionkomödie "Der Tigra von Eschnapur" nämlich eine mehr als tragende Rolle.
"Und mit dem Opel Ashram haben wir den ersten echten Kastenwagen im Angebot, der seinen Namen auch verdient", schwärmt Tatas Executive Manager Parminder Singh von den Möglichkeiten des west-östlichen Markentransfers. "Mit diesem preisgünstigen Kleintransporter könnte sich auch für die Unberührbaren eines Tages der Traum von der persönlichen Mobilität erfüllen." Und, wer weiß, vielleicht wird man mit Modellen wie dem Opel-Ashram auch auf dem deutschen Markt bei der Zielgruppe der Aussteiger und Althippies reüssieren können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel