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die wahrheitVerkeilte Zinken

Fehlentscheidungen der Jobcenter. Da es in Dortmund immer mehr Gabelstaplerfahrer gibt, kommt es zu ersten blutigen Unruhen.

Nur für wenige Kräfte auf dem Bock eines Gabelstaplers gibt es überhaupt noch etwas zu transportieren. Bild: ap

Wer länger keine Arbeit findet, der bekommt von seinem Jobcenter eine "Maßnahme" verpasst: Irgendeinen mehrwöchigen oder -monatigen Lehrgang, um etwas Neues zu werden, weil das, was man bereits ist, zu nichts taugt. Doch bei diesen Maßnahmen sind viele Arbeitsvermittler nicht eben einfallsreich. Vor allem nicht in Dortmund. Dort werden nahezu alle Arbeitslosen Gabelstapler-Maßnahmen verschrieben. "Ein Gabelstaplerschein ist immer gut", heißt es unter Arbeitsvermittlern. Warum so fantasielos, möchte man ihnen da zurufen, warum nicht mal was anderes, warum nicht mal was Lukratives, ein Chirurgen- oder ein Zuhälterschein, oder was Schönes: ein Opernkritiker- oder ein Bauchrednerschein, der Effekt ist doch derselbe, die Arbeitslosen verschwinden aus der Arbeitslosenstatistik, so oder so.

Zu spät. Mittlerweile hat halb Dortmund einen Gabelstaplerschein. Manche Dortmunder haben schon mehrere, für Fortgeschrittene, für Fortgeschrittene II, für Virtuosen, manche haben sogar einen Spezialschein, einen Geländegabelstaplerschein, aber immer noch keinen Job. "Der Markt an Staplerfahrern ist in Dortmund gesättigt. Man bräuchte mehrere Gabelstapler, um all die Gabelstaplerscheine zu stapeln", sagt ein alter Hase der Branche und schüttelt traurig den Kopf. So lungern viele Staplerfahrer nach ihrer Maßnahme nur herum, stapeln daheim leere Bierkisten, Rechnungen oder zurückgesandte Bewerbungsunterlagen und träumen vom Tod.

Aber nicht alle. Manche geben nicht so schnell auf und machen sich selbständig, schlagen sich irgendwie durch. Vor allem die Neulinge, die den Markt weiterhin überschwemmen. Sie lassen den Kopf nicht hängen, sondern erstehen ein rostiges Auslaufmodell bei Ebay, um als Gelegenheitsstapler ihr Glück zu versuchen. Aus dem Dortmunder Straßenbild sind sie heute kaum noch wegzudenken. Überall kurven sie herum, auf der Suche nach einem kleinen Auftrag.

Irgendeine Stapelei ergibt sich immer: Ein paar Obstkisten beim Gemüsehändler, ein Rollstuhlfahrer vor einer Treppe, ein paar Giftmüllfässer nach Nirgendwo. "Staplerfahrer kann man immer brauchen", erklärt ein Mitarbeiter des Dortmunder Ordnungsamts, der gern einen kleinen Auftrag vergibt: "Obdachlose am Bahnhof aufsammeln, bis zu fünf zugleich - und ab damit in die Vorstadt!", schmunzelt er und kann dabei verschmerzen, dass sich durch den Gabelstaplerboom die Staus und Auffahrunfälle verhundertfacht haben. Und Fußgänger im Verkehrswirrwarr schon mal mit einem breiten Schlitz im Bauch enden.

Gabelstapler sind vielseitig einsetzbar. Ob als Umzugs-, Leichen-, Heu- oder Golfwagen oder einfach als Taxi. Gerade transportiert ein Gabelstapler einen Herrn im Anzug nebst einer Dame im elfenbeinfarbenen Etwas. Ihr Fahrer hat eine Marktlücke gefunden, sein Gefährt fungiert als Hochzeitskutsche für Hartz-IV-Empfänger und ist ständig ausgebucht. Andere Fahrer haben weniger Glück. Ziellos tuckern sie umher, rollen die Fußgängerzone tatenlos auf und ab, umrunden oder rammen die Jobcenter.

Das Angebot an Staplern übersteigt in Dortmund die Nachfrage bei weitem. Die Lage spitzt sich zu. Viele Fahrer frisieren ihren Stapler, um noch mitzuhalten, oder buhlen mit Megafonen und Lichthupen um Aufmerksamkeit. Denn die Konkurrenz ist mörderisch. Regelmäßig kommt es zu Zusammenstößen, zu blutigen Rangeleien, bis sich die Gabelzinken ineinander verkeilen. Da geht mitunter ein Arm verloren oder ein Kopf entzwei. "Wer hätte denn das ahnen können", seufzt ein Jobcenter-Leiter, der zumindest das Problem erkennt. Andere ignorieren es: "Dortmund hat kein Gabelstaplerproblem. Das ist eine Erfindung der Medien! Wir haben ja auch andere Berufsgruppen vorzuweisen: Bratwurstbrutzler, Kaugummikratzer und 997 Arbeitsvermittler", erklärt der Dortmunder Bürgermeister und springt rasch über den Rathausvorplatz, damit ihn keiner der Stapler überrollt.

Immerhin einen Fortschritt gibt es: Geplant ist, künftig mit anderen Städten zusammenarbeiten, um der Misswirtschaft schleunigst Herr zu werden. Gelsenkirchen meldet eine Überproduktion an Mörtelmischern, Bielefeld kann sich vor Facility-Managern kaum retten, in Paderborn türmen sich die IT-Experten. Durch gezielte Austauschprogramme sollen die Probleme in Zukunft behoben werden.

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3 Kommentare

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  • KK
    Klaus Klausen

    Überraschend erfrischend, so etwas in der doch eher linken TAZ zu lesen, zeigt es doch auf eindrucksvolle weise den mechanismus auf, den Staatseingriffe in die Wirtschaft seitens der Politik bringen. Ob Abwrackprämie, Landwirtschaft, Mindestlohn, Opelrettung, Kurzarbeitergeld... Wann immer der Staat gutmeinend gutmenschelnd eingreift, kommt es zu Verwerfungen. Ein System, in dem der Staat nur das Regelwerk vorgibt, der einzelne Mensch dann selbst entscheiden darf, heisst übrigens neoliberal (in deutlicher Abgrenzung zum sog. liberalen Manchester-Kapitalismus). Diese Glosse ist bestens geeignet, die den Politikansatz von Linken und Grünen Linken (Staatlicher Beschäftigungssektor) zu beschreiben. Ich werde zukünftig in Diskussionen auf diesen tollen Artikel verweisen.

    Danke!

  • TS
    Thomas Schöffel

    Hahahahaha, köstlich, diese Zinken an Stapelgabel auf wutgeschäumter Fahrermousse.

    Ich erinnere mich: "Wenn der Gabelstaplerfahrer mit der Stapelgabel prahlt..." (siehe auch: Geier Sturzflug, NDW ca. 1982)

  • EO
    erika oczipka

    Liebe Wahrheitssucher,

    was Sie (noch) nicht wissen: die Anzahl der Gabelstaplerfahrer und -eigentümer in Ostfriesland steigt immer noch an. Ehrenamtliche Einsätze, um den Wiedereinstieg in die Gesellschaft zu finden, sind an der Tagesordnung. Selbst gewählte Einsatzgebiete sind folgende: an den Seedeichen die jungen neugierigen Lämmer aus dem Watt zu retten (bei Ebbe), die Boßelkugeln aus den Gräben zu fischen (Spezialeinrichtung erforderlich, aber schon vorhanden - selbst gebastelt, noch nicht patentiert)und suizidgefährdete Milchbauern mit besonderen akrobatischen Staplertänzen aus ihrem emotionalen Tief zu reißen. Wir sollten eigentlich mal eine Spendenaktion ins Leben rufen. Ich bin dabei.

    Gruß vom Deich:

    Erika Oczipka