die wahrheit: Schwesterwelle im Amt
Der homosexuelle Mann spezial. Der erste schwule Außenminister. Hier wird kein Piccolöchen geköpft und niemand flötet "Juchhu". Die Stimmung in der kleinen Schwulenbar...
...ist gedämpft an diesem Wahlabend. Ein Sieg für Schwarz-Gelb, das verspricht nichts Gutes. "Aber Schwesterwelle heiratet doch jetzt die Merkel", versucht einer die Laune zu heben, "ein Schwuler wird Vizekanzler und Außenminister" - "Na und?!"
Ja damals, als Klaus Wowereit Bürgermeister wurde, da war was los! Wowereit hatte zuvor mit seinem Coming-out vor den versammelten Genossen Mut bewiesen und wurde über Nacht zum Helden, ein Held aller Schwulen. Denn jeder von ihnen konnte nachvollziehen, wie viel Mumm ein solcher Schritt verlangt.
Aber Guido Westerwelle? Diesen Mut hat er noch nie bewiesen, im Gegenteil, jahrelang hielt er sich im sicheren Versteck, obwohl jeder wusste, dass seine Frau ein Mann ist. Geziert hat er sich und damit kein gutes Beispiel gegeben dafür, wie man lässig und souverän mit dem umgeht, was er abwehrend "Privatleben" nennt.
Noch im Wahlkampf legt Westerwelle auf die Frage einer Bild-Leserin, ob er denn seinen Freund heiraten werde, die immergleiche Platte auf: "Ich halte es mit der Regel, dass Privates auch privat bleibt", um gleich darauf darüber zu plaudern, dass sein Kleiderschrank immer ordentlich aufgeräumt sei, dass er sich nass rasiere, dass er Bratkartoffeln möge - "mit gut Speck". Als schwuler Mann ist Guido Westerwelle eine lächerliche Figur und ganz sicher kein Vorbild für irgendjemanden.
Ob er eine Vorbildfunktion für Schwule habe, wird Westerwelle vom Homomagazin Männer gefragt und antwortet krass korrekt: "Ich habe sie nicht gesucht, ich habe auch immer mein Privatleben privat gehalten." Und doch: "Aber ich merke durch manche Post und manche Ansprache, wenn ich in Köln mal samstags spazieren oder einkaufen gehe, dass viele Jüngere sich ermutigt fühlen."
Ermutigt durch was? Wie Herr Westerwelle shoppen geht oder spazieren? Wie kann nur einer der führenden Politiker dieses Landes, demnächst Vizekanzler und Außenminister, sich dermaßen einfältig und naiv geben, wenn es um die Besonderheit seiner Person geht? Warum macht der politische Verstand eines solchen Mannes vor der eigenen Person so störrisch Halt?
So einem traut man nicht, und in der kleinen Bar-Runde glaubt an diesem Sonntagabend niemand daran, dass ein Westerwelle in - wie er so gern sagt - Regierungsverantwortung" die vollständige Gleichstellung von homosexuellen Ehen gegen diesen Koalitionspartner durchsetzen wird, so wie es noch vollmundig im Wahlprogramm seiner Partei geschrieben steht. "Das muss man sich mal vorstellen", sagt einer, "da repräsentiert der dann sein Land weltweit und darf in diesem Land noch nicht einmal rechtlich seiner Chefin gleichgestellt leben."
Dass das auch so bleibt, das hat die Chefin wiederholt versprochen. Denn, so betont Angela Merkel immer wieder: "Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft." Daraus folgert sie "Respekt für andere Lebensgemeinschaften", der sei aber "nicht gleichbedeutend mit Gleichstellung". Das also versteht die Kanzlerin unter "Respekt".
Ihr mit einem Mann verheirateter Frisör - einer der Architekten ihres Imagewechsels - hat sie trotzdem gewählt, wie Udo Walz vorab in Wahlaufrufen verkündete. Dass ihr Homosexuelle die Gefolgschaft versagen, muss die Kanzlerin also nicht fürchten, auch wenn sie in ihren Augen ein zweitklassiges Leben führen.
Aber so eine Chefin, und darüber sind sich alle einig beim Bar-Plausch, die passt zu Westerwelle: Sie, das antiquierte Modell einer perfekten Schwulenmutti, zusammen mit ihm, der als schwule Figur auch schon lange passé ist - eine ideale Mann-Frau-Beziehung, völlig aus der Zeit gefallen. Einen Einblick in ihre gelungene Verbindung gaben die beiden in der Elefantenrunde nach der Wahl.
Oskar Lafontaine hatte Westerwelle wieder mal angeprickelt, und der reagierte darauf gewohnt hysterisch: "Herr Lafontaine, werden Sie doch mal wieder normal!", bis sich Mutti Merkel mit einem Machtwort vor ihren Schützling stellte. Die Kräfteverhältnisse zwischen diesen beiden sind genau festgelegt, und es ist nicht zu erwarten, dass künftig der eine der anderen widerspricht.
"Die soll uns im Ausland repräsentieren?" Jetzt steigt der Barkeeper in die Bütt. "Stellt euch vor, so eine verklemmte Husche kommt in irgendein arabisches Land, wo heute noch die Schwestern gehängt werden. Was glaubt ihr, ob sie dagegen den Mund aufmacht?" Der Abend endet so scheußlich, wie er angefangen hat nach der ersten Wahlprognose.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Ineffizienter Sozialstaat
Geteilte Zuständigkeiten
Gesetzentwurf aus dem Justizministerium
Fußfessel für prügelnde Männer
Europarat beschließt neuen Schutzstatus
Harte Zeiten für den Wolf