die wahrheit: Der böse Schnitt
Tatort Filmsumpf. Spurensuche im Milieu der Bewegtbildverbrecher.
Es ist kalt, eisig-graue Nebelfäden wehen am Kino vorüber. Zitternd drängen sich die Menschen aneinander, die Köpfe zusammengesteckt tuscheln sie. Einer blickt zur Bratwurstbude hinüber. "Schaut nicht hin, da ist Rosa von Praunheim. Der hat den bösen Schnitt! Genau wie Kluge, Fassbinder und Wenders." Dies ist der Beginn einer Spurensuche im Milieu der deutschen Bewegtbildverbrecher, die viel zu lange ungehindert ihre scheußlich schmalzigen und brutal verkopften Filmverbrechen in die Kinos bringen durften.
Jedes Jahr Ende Oktober tummeln sich die Kinokriminellen in der Abgeschiedenheit der oberfränkischen Provinz, in Bayrisch-Sibirien, wie man die Stadt Hof passenderweise nennt. Geschickt schmuggeln sie ihre Schandtaten in das Programm der Internationalen Hofer Filmtage und probieren ihre diabolischen Schneidekünste am unschuldigen Publikum aus. Hier muss es also zu lüften sein, das Geheimnis des "bösen Schnitts", der schon so viele Filme zum Verbrechen werden ließ.
Durch investigative Recherche soll es gelingen, den Bewegtbildgaunern endlich das Handwerk zu legen. Der Festivalkatalog verspricht reiche Beute an Filmverbrechen, Titel wie "Engel mit schmutzigen Flügeln" oder "Zarte Parasiten" lassen nichts Gutes ahnen. Auch einige der einschlägig vorbelasteten Regisseure sind vertreten. Darunter der gefürchtete Rosa von Praunheim, den die meisten durch das TV-Outing Hape Kerkelings kennen. Er kriminalisierte die Leinwände in Hof zuletzt durch die - vermutlich unfreiwillige - Groteske "Der rosa Riese", der die Taten eines Frauenmörders in rosa Unterwäsche nachstellt, sowie durch "Dein Herz in meinem Hirn", in welchem Praunheim zwei mäßig begabte Schauspieler die Geschichte des Kannibalen von Rotenburg nachspielen lässt.
Heuer im Programm: "Rosas Höllenfahrt". Da ahnt der Zuschauer zumindest schon, wohin die Reise geht. Der "stille Pate" der Filmmafia, Wim Wenders, ist sogar seit über 40 Jahren Stammgast in Hof. Er hat hier nicht nur ein gutes Dutzend Filmverbrechen verübt, er verpasste der hilflosen Kleinstadt auch den plumpen Slogan "HOF - Home of Films". Überdies wählten auch der Meister der Ödnis, Christian Petzold, sowie der als "teutonischer Eumel des Weltkinos" bekannte Regisseur Uwe Boll schon mehrfach Hof als Tatort.
Und bei einer solchen Präsenz von Schwerkinokriminellen konnten auch 2009 nicht alle Filmverbrechen verhindert werden - trotz aller Prävention durch die Einsatzkräfte des Festivals. Altmeister Alexander Kluge mit Komplize Stefan Aust quälten die Zuschauer in ihrem "Deutschland-Komplex" mit lustvollen Ziegen, marschierenden Russen und einer ganz eigenen "Typografie des Terrors". Ein gelungener Versuch, 60 Jahre Deutschland sekundengenau fühlbar zu machen - mit einem Film, der laut Aust "Wunden im Kopf aufreißt".
Doch es geht noch brutaler: Die "Engel mit schmutzigen Flügeln" versetzen das Publikum systematisch in einen Zustand der inneren Verwahrlosung, um es für die fatale Wirkung des bösen Schnitts empfänglicher zu machen. Dabei tarnen sie das Ganze mit der Ästhetik eines Medienprojekts der Klasse 9b und lassen dann Motorradreifen, Schamlippen und Teenietagebuchgesülze erbarmungslos um die Vorherrschaft kämpfen. Viele Zuschauer sind danach so gelähmt, dass sie gar nicht mehr über das Erlebte sprechen können.
Und das hat System: Die Filmgauner hüten ihr düsteres Geheimnis wie die Freimaurer. Damit niemand die Wahrheit ausplaudert, haben sie sogar dem armen Lou Castel, dem dieses Jahr die Retrospektive gewidmet war, vor Beginn des Festivals sein Gebiss entwendet. So musste er traurig und stumm mit ansehen, wie er als Protagonist im heiligen Nutteninferno Fassbinders aufs Neue das Publikum folterte.
Angesichts dieser offenkundigen Vergehen ist es unfassbar, dass niemand die organisierte deutsche Bewegtbildmafia im Zaum halten kann. Aber wahrscheinlich sind ihre fiesen Psychotricks einfach zu mächtig. Darauf angesprochen, suchen die Regisseure und Produzenten das Weite und eilen schnell zum nächsten Sektempfang, um den bitteren Geschmack der Schuld hinunterzuspülen.
Dann verwickeln sie einen geschickt in ein scheinbar tiefsinniges Gespräch, das eine Spirale der autogenen Selbstbetäubung in Gang setzt - automatisch lässt sie einen immer weiter trinken, bis das Gesagte einen Sinn zu ergeben scheint. Und tatsächlich: Auf einmal ist alles völlig klar. Die Essenz dieses Films ist Handlung, nicht Dialog! So kommt es, dass im Grauen des nächsten Morgens einsam ein großer, prall gefüllter Sack im malerischen Hofer Untreusee versinkt.
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