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die wahrheitMetallica auf Socken

Drängende Erinnerungen an goldene Zeiten

Nach der Lesung in einer kleinen Kreisstadt am Rande der Lüneburger Heide kam ein glatzköpfiger Mensch in den Fünfzigern nach vorn an den Tisch und sah mich scharf an. "Du glaubst wohl auch, du hättest die Weisheiten des Heavy Metal mit silbernen Löffeln gefressen, oder was?"

Ich bat ihn zu entspannen und mir zu berichten, was er auf dem Herzen habe. Und da brach es aus ihm heraus: das, was er all die Jahre mit sich herumgeschleppt hatte, was er hier niemandem mehr erzählen konnte, weil er es allen schon vorher hundertfach erzählt hatte. Er sei nämlich in den Achtzigern, den goldenen Zeiten, als Tourmanager vor allem von Heavy-Bands unterwegs gewesen. Slayer, Exodus, Motörhead, Skid Row und nicht zuletzt Guns N Roses, als diese ihre Amps noch selbst auf die Bühne tragen mussten - er hatte sie alle.

"Na, dann hast du ja bestimmt ne ganze Menge erlebt", lockte ich verschlagen. "Das kannst du aber laut sagen", meinte er mit selbstzufriedenem Lächeln. Er tischte mir die üblichen schmutzigen Drogenakquise-, Suff- und Groupiestandards auf, die man gelegentlich ganz gern hört, aber für die man nicht unbedingt dabei gewesen sein muss, um sie erzählen zu können, weil sie schon seit Jahrzehnten zur Hard-n-Heavy-Folklore gehören. Led Zeppelin waren schließlich auch mal jung. Immerhin, Duff McKagans Begrüßung der überglücklichen Bravo-Leserin, die hinter die Bühne gekommen war, um den Goldenen Bravo-Otto zu überreichen, blieb gegen meinen Willen hängen: "Darf ich an deinen Zehen lutschen?"

Aber als das ehemalige Rock-n-Roll-Etappenschwein dann seine "Lieblingsgeschichte" ankündigte und mit den Worten einzuleiten begann, er wisse auch gar nicht genau, warum er sie so möge, denn sie sei eigentlich ganz und gar unspektakulär, da spitzte ich denn doch gleich meinen inneren Bleistift und hörte genauer hin. Er saß gerade mit Metallica im Nightliner, sie kamen aus Skandinavien und waren unterwegs nach Süddeutschland, als die Jungs ein exorbitantes Bedürfnis packte, dem sie auf dem bordeigenen WC nicht mehr nachkommen mochten. Es war einfach unansehnlich geworden. Schon in der zweiten Tour-Woche hatte man ernsthaft darüber diskutiert, was man benötige, um die Kabine vom Rest des Fahrzeugs abzusprengen. Da musste er sich als Tourmanager natürlich etwas einfallen lassen. Nicht ganz uneigennützig, versteht sich.

Nun trug es sich zu, dass sie die Gestade jener kleinen niedersächsischen Kreisstadt am Rande der Lüneburger Heide erreichten und folglich sein Elternhaus nur mehr zehn Minuten entfernt lag. Er meinte seine alte Heimat schon riechen zu können, aber dieser Pesthauch entstammte wohl doch eher jener kontaminierten Zone aus dem hinteren Teil des Nightliners. Also bat er die Band um Aufmerksamkeit und unterbreitete ihr seinen Plan. Sie könnten im Haus seiner Eltern austreten, wenn man - und das mussten sie ihm in die Hand versprechen - die Schuhe vor der Haustür ausziehe, nirgends Spritzen liegen lasse und vor allem mucksmäuschenstill sei, denn seine Eltern lägen zu diesem Zeitpunkt bereits ein paar Stunden im Bett. Es war ja auch schon kurz vor Mitternacht. "Na ja, und so kam es dann", der Mann wurde jetzt richtig euphorisch, "dass eine der bekanntesten Metal-Bands des Planeten, auf Socken, von einem Bein aufs andere tretend und stumm wie ein Stein, im Hausflur meiner Eltern stand und darauf wartete, sich endlich mal wieder in Würde die Nase pudern zu können."

Es wäre dann aber doch noch beinahe eskaliert, als Kirk Hammett halblaut durch die Klotür zischte, Ulrich möge jetzt aber langsam mal hinnemachen, Pickel ausdrücken könne er auch noch im Bus und bei dem eben vernommenen Zeitungsgeraschel wachse ihm eine Knolle, die bereits deutlich sichtbar würde. Aber James Hetfield, der sich als Erster erfrischt hatte und entsprechend gelaunt war, gab ihm eine Kopfnuss, die sehr weh getan haben muss, und erklärte ihm flüsternd, er habe gehört, seine alte Band Exodus suche wieder einen Leadgitarristen.

"Aber die beiden haben sich dann schnell wieder eingekriegt", nickte mein Gewährsmann. "Was hätte der kleine Kirk denn auch anderes tun sollen?" Ein paar Tage später rief seine Mutter an. Sie tat geheimnisvoll. Er habe wohl bei seinem letzten Besuch etwas liegen lassen. Er versuchte sich sofort rauszureden - das sei ja bloß Backpulver, das helfe so gut gegen Sodbrennen -, daraufhin schwieg sie eine Weile irritiert und erzählte dann, dass sie in dem leeren Seifenschälchen auf der Anrichte ein paar Scheine und etwas Kleingeld gefunden habe. "Das müssen so um die 13,50 Dollar gewesen sein."

Die Band hatte für ihn gesammelt! Als er mir das erzählte, schlich sich ein wehmütiger Zug ins verlebte Gesicht, der mir diesen Veteranen fast schon sympathisch machte.

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