die wahrheit: Vernunft und sonst nichts
Mit Kopfschütteln betrachte ich das allenthalben wachsende Interesse an Seltsamkeiten, Monstrositäten und - sagen wir es ruhig - Verrücktheiten...
... das schon obsessive Interesse am Widernatürlichen und Abwegigen in bildender Kunst, Film und Literatur. Was ist los mit unserer Kultur? Was finden die Leute nur an derlei eskapistischem Quatsch? Wie mag es in denen aussehen, die so etwas mit Vorliebe konsumieren, und gar erst in denen, die es aushecken und auf den Markt werfen? Ich für meine Person bin glücklich, immun gegen solch lächerlichen Unsinn zu sein. Mit Phantastik und "Wunderbarem" habe ich absolut nichts im Sinn. Für mich zählt einzig die Vernunft. Realismus ist mein Lebensprinzip.
Nur ein einziges Mal in meinem Leben ist mir etwas widerfahren, das ich sonderbar nennen möchte, weil ich bis heute einfach keine Erklärung dafür finden kann. Es begann sehr schmerzlich. Mein gut zwanzigjähriges Lieblingshemd war fadenscheinig geworden, und ich hatte mich schweren Herzens davon trennen müssen. Lange litt ich unter dem Verlust, den dieser leider unvermeidbare Schritt mir bereitet hatte. Mancher, der ebenfalls schon erlebt hat, wie ihm lieb gewordene Kleidungsstücke von der Entropie dahingerafft wurden, wird mir meinen Kummer sicher nachfühlen können.
Ich suchte zahllose Bekleidungsfachgeschäfte nach Ersatz ab, doch konnte ich nirgendwo etwas finden, was meinem alten Lieblingshemd auch nur ähnlich war. Etwas Derartiges wurde offenbar nicht mehr hergestellt. Ein Skandal, ein Armutszeugnis für unser pausenlos Unmengen von Bekleidung produzierendes Wirtschaftssystem! Nicht einmal in Secondhandläden konnte man mir helfen. Mit dem altersschwachen Exemplar, das ich tränenden Auges weggeworfen hatte, schien das letzte seiner Art vom Erdboden verschwunden zu sein. Nun galt es wohl oder übel, den Gedanken zu akzeptieren, in Zukunft ohne das Verlorene zurechtkommen zu müssen. Damit tat ich mich sehr schwer, und wirklich einsehen konnte ich es nicht. Zeit verging, Trauer und ohnmächtige Wut beherrschten mich unvermindert. Mein Verhältnis zur Welt wurde zusehends angespannter. Nach dem Glauben in die Bekleidungsindustrie begann ich den Glauben in Bekleidung an sich zu verlieren. Wozu sollte ich überhaupt noch etwas anziehen?
Es gab allerdings Anlässe, zu denen ich nicht gut nackt gehen konnte, und so kam es, dass ich eines Tages in tiefer Resignation meinen Kleiderschrank öffnete, um ihm eins meiner minderen Hemden zu entnehmen. Es ist mir nicht gegeben, auch nur eine schwache Andeutung dessen zu liefern, was ich empfand. Um es zu können, müsste ich ein Dichter, also ein Spinner sein, da ich jedoch ein fest auf dem Boden der Tatsachen stehender Vernunftmensch bin, sage ich es unumwunden und kunstlos: Vor mir im Schrank hing, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, mein so reich vermisster Favorit unter den Hemden!
Ach ja, und dann hatte ich noch eine jahrelange Beziehung mit einer Außerirdischen.
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