die wahrheit: Schwabinger Krawall
Das Banausen-Genie
Wie ihm die Jacqueline mitgeteilt hat, sie habe von ihrem neuen Chef zwei Opernkarten geschenkt gekriegt, hat der Jackie gesagt, dass ihn so ein Kulturzeugl generell nicht interessiere und dass er davon nichts verstehe. Mit der Ausrede ist er jedoch nicht weit gekommen, weil sie gemeint hat, wenn er sich lieber wie üblich volllaufen lassen wolle, solle er daran denken, sich vorher ein Hotelzimmer zu reservieren, und zwar für die nächsten vier Wochen oder wie lange er eben brauche, um eine Wohnung zu finden. Da hat er nachgegeben und gesagt, dass sie ihn auf dem Weg ins Theater beim Renato abholen solle.
Beim Renato hat der Hubsi gesagt, der Jackie solle sich den Schuh aufblasen lassen und mitgehen zu der Sause von dem Sollner Kosmetikchirurgen. Der Renato hat gefragt, was er sich überhaupt ansehen wolle, und wie er gesagt hat, irgend so ein Idiotino-Dingsbums von einem Fidelio Castro oder so, hat der Renato gebrummelt, an einen Banausen wie ihn sei Kunst verschwendet, hat ihm den 200-Euro-Deckel vom letzten Geburtstag hingeknallt und so laute Gesangsmusik aufgelegt, dass der Jackie froh war, wie die Jacqueline ihn endlich abgeholt hat.
Im Theater ist er eingenickt und erst wieder aufgewacht, wie auf der Bühne eine dicke Frau, die ausgeschaut hat wie ein Atomkraftwerk mit Frisur, losgeplärrt hat wie eine Luftschutzsirene. Da ist er aufgesprungen und hat gebrüllt, die dumme Sau solle das Maul halten, weil er die Musik hören wolle. Weil ihn daraufhin alle angestarrt und gehustet und den Kopf geschüttelt haben, hat er zur Jacqueline gesagt, er müsse aufs Klo, ist hinaus und hat im Zwischengeschoss eine Bar gefunden.
Nach dem zweiten Glas Sekt wollte er mit dem Kellner ein Gespräch anfangen, der hat ihn aber angeschaut, als stünde er ohne Hose vor ihm, also ist er nach dem übernächsten Glas wieder rauf zum Konzertsaal, dabei gestolpert und auf einer Frau gelandet, die ihn weggestoßen hat, worauf er rückwärts die Treppe hinunter und in die Bar gestürzt ist und sich so den Rücken und die Oberarme zerschnitten hat, dass der Kellner einen Notarzt geholt hat und er froh war, wie man ihn auf der Bahre rausgetragen und ihm eine Spritze gegeben und dadurch endlich das Luftschutzgeplärr aufgehört hat.
Am nächsten Tag ist er im Krankenhaus aufgewacht und die Jacqueline am Bett gestanden. Wie er ihr Strahlen gesehen hat, hat er nicht gewusst, was er denken soll, aber dann hat sie ihm aus der Zeitung vorgelesen, die Aufführung sei ein Riesenmist gewesen, was von dem bornierten Banausenpublikum niemandem aufgefallen sei außer einem jungen Mann, der seiner Empörung über die skandalöse Darbietung der Hauptsolistin auf unkonventionelle Weise Ausdruck verliehen habe.
Da war er ganz stolz auf seine frischen Nähte und hat sich nicht anmerken lassen, wie erschrocken er ist, als die Jacqueline gesagt hat, dass sie von ihrem Chef zwei Einladungen zur Vernissage eines chinesischen Medienkünstlers gekriegt hat, weil er sich gedacht hat, dass er sich wahrscheinlich auch diesmal auf sein Urteil verlassen kann.
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