die wahrheit: Rasant ausgebrannt

Rund um die Uhr Leistung, Flexibilität und festes Schuhwerk - das sind die Anforderungen unserer modernen Gesellschaft. Das Burn-out-Syndrom ist die Krankheit des Jahres.

Guido Westerwelle soll nach seinem Coming-out ein Burning-out durchlitten haben. Bild: dpa

"Hamburg, leichter Regen, die Frisur sitzt; Haiti, Erdbeben, kein Haar wird gekrümmt; Bochum, total langweilig, das Styling bleibt perfekt, das Lächeln ist eingefroren, dank Dreiwettertaft und Botox" - so oder ähnlich lauten die subtilen Aufforderungen der Werbewirtschaft, allzeit an jedem Ort noch die größten Widrigkeiten zu meistern und dabei eine makellose Figur zu machen.

Die moderne Gesellschaft verlangt 24 Stunden Leistungsbereitschaft, Flexibilität und festes Schuhwerk. Durch diese hohen Anforderungen fangen sich neuerdings immer mehr Menschen das sogenannte Burn-out-Syndrom ein. Angesichts der medialen Präsenz dieser noch jungen psychischen Erkrankung, kann man durchaus sagen, dass sie das Zeug hat, zu der Trendkrankheit des Jahres 2010 zu werden.

Da bleibt es nicht aus, dass immer mehr Prominente von ihrem ganz persönlichen Burn-out berichten. Der Autor Frank Schätzing hatte es, Rosenstolz-Sänger Peter Plate sagte gleich eine ganze Tournee ab, Bild-Chef Kai Diekmann musste das Burn-out seines Wagens mit ansehen und selbst Politiker wie Klaus Wowereit und Guido Westerwelle sollen nach ihrem Coming-out ein wahres Burning-out durchlitten haben.

Den Maßstab aber setzte jene Dame, die den Stein erst ins Rollen brachte und das Burn-out-Syndrom in der Liste der beliebtesten Krankheiten mindestens unter die Top Ten katapultierte. Miriam Meckel, Lebensgefährtin der ebenfalls potenziell Burn-out-bedrohten Fernsehmoderatorin Anne Will, sprach und schrieb in Interviews, Vorträgen, Artikeln und auf über 200 Buchseiten über ihr Burn-out. In Meckels Buch ist zu lesen, "wie es sich anfühlt", wenn plötzlich Klempner in der Wohnung stehen, die man gar nicht kennt und Freunde anrufen, obwohl man gar nichts bestellt hat.

Die ganze Republik oder zumindest ihre führenden Presseerzeugnisse nahmen Anteil an den Magen-Darm-Beschwerden, die das Burn-out-Syndrom bei Meckel mit sich brachte. Alle Feuilletonisten tasteten sich vorsichtig selbst nach verdächtigen Symptomen ab. Das Heimtückische an dieser Krankheit aber ist: Man weiß nie, ob Abtasten ausreicht, ob man nicht auch in sich hineinhören oder sogar gehen sollte.

Gerade weil die Symptome aber so mannigfach sind, dass ziegeldicke Feuilletons damit gefüllt werden können, lassen sich nun ganze Berufsgruppen ein Burn-out diagnostizieren. Besonders häufig trifft es Feuerwehrleute. Aber auch Polizisten sind betroffen. Ein Beamter aus Berlin: "Wenn wir kommen, sind die Autos meistens schon ausgebrannt und es bleibt nur noch das Protokollschreiben. In manchen Nächten schreiben wir so viele Protokolle, dass ich glaube, meine Fingerkuppen glühen."

Sogar Rentner werden inzwischen schon mit Burn-out-Syndrom eingeliefert. Bis ins hohe Alter wird heute Flexibilität verlangt, und wenn es dabei nur um die Auswahl der Medikamente oder die Farbe des Treppenliftes geht. Häufige Wechsel des Wohnorts können übrigens auch direkt zum Burn-out führen. Nicht umsonst sagt der Volksmund: Dreimal umgezogen ist wie einmal ausgebrannt.

Der Psychologe und Burn-out-Spezialist Heribert Brunner bekommt täglich neue Fälle von Burn-out auf den "Tisch", wie er seine Couch scherzhaft bezeichnet. Er kritisiert den neuen Trend. "Jetzt haben plötzlich alle ein Burn-out-Syndrom, eine richtige Seuche ist das bereits. 1945 gab es das auch schon mal. Da waren alle ausgebrannt, aber sind sie deswegen gleich zum Arzt gelaufen?"

Mit seiner drastischen Wortwahl möchte Heribert Brunner seine Patienten dringend zum Nachdenken anregen. In einem Punkt scheint er jedenfalls recht zu haben: Das Feuer ist älter als die Menschheit, das Burn-out-Syndrom hingegen gibt es ungefähr erst seit der Erfindung des Haarsprays Dreiwettertaft.

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