die wahrheit: Strom aus Humptata
Energie von heute für morgen. Die neuen Windmacher kommen.
Alois Weigershofer ist Musiker mit Leib und Seele. Der gewichtige Oberbayer spielt in der Blaskapelle seiner Heimatgemeinde Sachrang Basstuba. "De lustign Sachranger" sind ein beliebtes Ensemble, das in Bierzelten, beim Sommerfest der Freiwilligen Feuerwehr und bei Dorffesten aller Art das traditionelle Humptata beisteuert.
Doch die lustigen Sachranger sind nicht nur Traditionalisten vom alten Schlag, sie machen sich auch Gedanken über Klimaerwärmung, Umweltschutz und erneuerbare Energien. Weigershofer: "Wenn wir richtig aufdrehen, dann produzieren wir mit unseren Blasinstrumenten ziemlich viel Wind. Und da sind wir auf die Idee gekommen, dass wir diese Windkraft zur Energiegewinnung nutzen könnten."
Und nun werden von den Blechbläsern Lenkdrachen eingesetzt, die von der erzeugten Luftströmung nach oben gezerrt werden. Wenn sich dabei die Führungsleine abwickelt, produziert ein Generator am Boden daraus Strom. Das bislang eingesetzte Modell mit fünf Metern Spannweite, das 30 Kilowatt produziert, reicht gerade aus, um fünf bayerische Haushalte mit Strom zu versorgen.
Der nächste Entwurf sieht einen Drachen mit einer Spannweite von 15 Metern vor, der ein Megawatt erzeugt, also genug für 50 Haushalte. Eine pfiffige Lösung, die auch beim Publikum bestens ankommt, demonstriert sie doch anschaulich den musikalischen Einsatz der Sachranger für einen guten Zweck.
Eines ist nämlich klar: Großprojekte wie Windparks mit riesigen Windrädern in der Landschaft finden im Voralpenraum kaum Akzeptanz. Der Trend geht eindeutig zu dezentralen, kleinteiligen Lösungen, die dem Endverbraucher unmittelbaren Nutzen bringen. Der Erfolg der Sachranger Idee hat nun auch andere Tüftler und Bastler auf den Plan gerufen. Zum Beispiel Gregor Kasparczik. Der leidenschaftliche Oktoberfestbesucher isst für sein Leben gern bayerische Schmankerl wie Radi, Krautsalat oder Würstl mit Sauerkraut.
Das Problem bislang: die Speisen haben eine enorm blähende Wirkung. Doch seit Kurzem verwandelt sich dieser Nachteil in ein segensreiches Wirken, denn Kasparczik ist es gelungen, die mitunter unbändige Kraft seiner fliehenden Winde für professionelle Zwecke zu zähmen. Der an der Technischen Universität München promovierte Ingenieur beabsichtigt nämlich, mit der selbst entfachten steifen Brise Strom zu erzeugen. Der findige Tüftler hat einen Drachen an seinen Gürtel geschnallt, an dessen vorderen Flügelkanten Propeller sitzen, die kleine Turbinen antreiben. Ein Kabel, das den Drachen festhält, leitet den Strom zum Boden.
Kasparcziks Firma Winwinergy ist beileibe nicht die einzige Firma, die mit neuartigen Fluggeräten Windkraft ernten will. Weltweit nehmen mehrere Start-up-Firmen die Luftströmungen ins Visier, die in großer Menge ungenutzt über die Erde brausen. Einige wollen Drachen, andere hubschrauberähnliche Apparaturen oder Ballons für Windkraftanlagen nutzen. Sie alle bauen darauf, dass es in Bierzelten in Bodennähe stärker und stetiger bläst als allgemein gedacht.
Im Sturmgürtel der Jetstreams auf Bierbankhöhe ließe sich laut dem Atmosphärenforscher Michael Zollinger von der Brau-Hochschule Weihenstephan ein gerüttelt Maß an erstklassiger Energie gewinnen. "Wenn die Behörden erst erkennen, wie wichtig diese Technologie für eine nachhaltige Energiewirtschaft ist, werden sie die Festzeltordnung entsprechend ändern", gibt sich der renommierte Wissenschaftler zuversichtlich.
Winwinergy will seine Turbinen in bescheidenen 30 bis 50 Zentimetern Höhe fliegen lassen. Kasparczik ist sich sicher: "Wer Kohl sät, wird Strom ernten", führt der umtriebige Erfinder aus. "Wir verbinden bajuwarisch-barocke Lebensfreude mit dem Umweltgedanken – und erzeugen dabei Energie." Er hofft, die Kosten herkömmlicher Windenergie um 40 Prozent senken zu können. Und wenn Flaute herrscht im Festzelt oder beim Oktoberfest? "Dann sollte schleunigst eine serbische Bohnensuppe oder ein Krautwickerl bestellt werden."
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