die wahrheit: Fish auf dem Trockenen
Es gibt zwei besonders miese Jobs in England: Trainer der Nationalmannschaft und Fernseh-Wetterfrosch ...
... Erstere werden vor jedem wichtigen Turnier mit ihrem Team regelmäßig zum Favoriten hochgeschrieben, um sie nach dem ebenso regelmäßigen Versagen mit interessanten Schimpfwörtern zu belegen - Graham Taylor zum Beispiel.
Nachdem England bei der Europameisterschaft 1992 bereits in der Vorrunde ausschied und sich für die Weltmeisterschaft 1994 in den USA gar nicht erst qualifizieren konnte, bekam er von der Boulevardpresse den Spitznamen "Runkelrübe". Oder Steve McClaren, der nach der verpassten Qualifikation für die Europameisterschaft 2008 nach nur 15 Monaten hinausgeworfen wurde und seitdem "McClown" heißt. Wetterfröschen ergeht es nicht besser. Das Volk der Ferengi aus der Sciencefiction-Fernsehserie "Star Trek" hat 178 verschiedene Worte für Regen. Englische Meteorologen müssen mit einem Bruchteil davon auskommen, um das typisch englische Wetter zu beschreiben. Dafür haben sie andere Tricks, um die Regenprognosen erträglicher zu machen.
Michael Fish, der berühmteste englische Wetterfrosch, belog die Zuschauer einfach, um ihnen nicht die Laune zu verderben. Am 15. Oktober 1987 lachte er: "Eine Frau hat vorhin hier angerufen und behauptet, ein Orkan sei auf dem Weg nach England. Wer jetzt zuschaut, muss sich keine Sorgen machen: Es stimmt nicht." Es stimmte doch. Wenige Stunden später suchte der schlimmste Sturm seit 1703 Südostengland heim, 18 Menschen kamen dabei um. Die Presse behandelte Fish danach, als ob er sie eigenhändig ertränkt hätte.
Geblieben ist der "Michael-Fish-Effekt": Aus lauter Angst, den gleichen Fehler zu machen, gehen Fishs Nachfolger lieber vom schlimmstmöglichen Fall aus. Tobt irgendwo auf der Welt ein Orkan, so prophezeien sie, dass er sich auf den Weg nach England machen könnte. So auch neulich an einem langen Wochenende, das zu den wichtigsten Einnahmequellen für die Tourismusindustrie gehört, weil sich normalerweise halb England auf eine Kurzreise begibt.
Doch die Meteorologen sagten Dauerregen und stürmische Gewitter voraus, die Leute blieben zu Hause. Sie verpassten den wärmsten und sonnigsten Tag des Jahres. Im südenglischen Seebad Bournemouth war man nicht amüsiert. Die törichte Voraussage habe dafür gesorgt, dass 25.000 Besucher weniger kamen, beklagte Mark Smith von der Tourismusabteilung des Stadtrats. "Wetterfrösche haben eine enorme Verantwortung", sagte er. "Ihre Prognosen beeinflussen den Broterwerb von vielen Menschen. Wenn sie keine Ahnung haben, sollten sie ehrlich genug sein, das zuzugeben."
Das gilt nach Meinung der Boulevardblätter auch für den Trainer der Nationalmannschaft. Fabio Capello, den derzeitigen Amtsinhaber, wünschten sie nach der Pleite bei der Weltmeisterschaft in Südafrika als Pizzabäcker in seine italienische Heimat zurück. Stattdessen könnte Michael Fish die Nationalmannschaft übernehmen. Und Paul, der Tintenfisch, bekommt den Job als Wetterfrosch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen