piwik no script img

die wahrheitAuf zur Morbidiade!

Sportliche Wettkämpfe. Allererste Planungen zu einem brandneuen Großereignis aus der Halb- und Schattenwelt der Leibesübungen.

Viele Menschen sind schon lange tot. Manche sogar bereits viele hundert Jahre. Doch auch die Lebenden kommen mitunter nicht sonderlich schwungvoll daher. Oftmals fallen daher die Unterschiede zwischen Dies- und Jenseits, respektive deren Bewohnern nur dem geübten Beobachter auf.

Selbstverständlich gibt es vereinzelte Schnittmengen und Berührungspunkte, wie etwa in der zähen Gestalt von Jopi Heesters, der zwar irgendwann auch einmal zu Ende sterben wird, der sich bis dato aber recht erfolgreich einer eindeutigen Zuordnung verweigert. Und auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt wird sich früher oder später wohl endgültig in Rauch auflösen.

Doch selbst wenn solche Übergangswesen besonders in den Medien auftauchen, so gibt es sie doch tatsächlich im wahren, im täglichen Leben. Und es wäre an dieser Stelle ein Leichtes und reichlich abgeschmackt, hierfür als Beispiel etwa Institutionen wie Behörden oder gar die Politik heranzuziehen - und genau deswegen machen wir es auch.

Allerdings gibt es eben auch die fertigen Toten, und die sind bei Weitem nicht so selbstverständlich ins soziale Miteinander unseres auf Vitalität bedachten Alltags integriert, wie man das von einer modernen Gesellschaftsform wie der unseren eigentlich erwarten dürfte. Ein gutes beziehungsweise schlechtes Beispiel bietet hierfür der Sport.

Kaum einmal ein Toter, der an einem Wettbewerb teilnimmt oder gar eine Auszeichnung für herausragende Leistungen für was auch immer entgegennehmen darf. Doch wenn es nach dem Sportfunktionär Ernulf Bert geht, wird sich das demnächst ändern. Ernulf Bert, der jahrelang im Managementbereich eines großen deutschen Telekommunikationsunternehmens tätig war und sich dementsprechend gut mit Toten auskennt, hat nämlich einen Plan, der auch den Einsatzwillen und das sportliche Engagement unserer Altvorderen wieder in die Welt der vermeintlich Lebenden eingliedern würde: die Morbidiade.

"Die Morbidiade", so Bert in einer Videobotschaft aus einer Höhle unbekannten Standortes, "soll das ewige Dilemma zwischen der letzten unüberbrückbaren Grenze zumindest dahingehend ein wenig aufweichen, dass die Toten gesellschaftlich wieder etwas mehr anerkannt und auch aufgrund ihrer Leistungen und nicht nur wegen ihres Status respektiert werden. Sie symbolisiert quasi einen Brückenschlag zu einem weitaus komplexeren und raumgreifenderen Generationenvertrag als wir ihn heute kennen."

Schließlich dürfe man nicht vergessen, so Bert weiter, dass die Toten immerhin unzähligen Generationen Platz gemacht und dafür sogar extra Veranstaltungen wie Kriege, Seuchen und andere Katastrophen inszeniert hätten oder aber einfach privat zu Hause gestorben seien. Ein altruistischer Rückzug zugunsten der Jüngeren, der sich in seiner Weitsicht nicht so einfach nonchalant vom Tisch fegen lasse.

"Die erste Morbidiade wird wahrscheinlich bereits im Jahre 2012 im brandenburgischen Krematostädt ausgetragen, da diese Stadt ohnehin seit Jahr und Tag ein seltsam morbides Flair, ein scheinbar jederzeit einsatzbereiter Wille zur allgemeinen Gesamtverlottertheit umschnurrt, der die ungezwungene Lebensfreude jener speziellen Brandenburger in etwa mit der eines langbärtigen Taliban vergleichbar macht. Also der ideale Ort."

Über die einzelnen Wettkampfdisziplinen der ersten Morbidiade ist man sich unter den Organisatoren aber noch nicht vollständig einig, schließlich sollen die Fernsehzuschauer - ARD und ZDF übertragen selbstverständlich live - auch nicht allzu sehr von ihren Sehgewohnheiten wachgerüttelt werden, denn gerade die Älteren sollen durch ein angenehm unaufgeregtes Sendeformat zum aktiven Mitmachen animiert werden. Im Idealfall gilt es, ereignisübergreifend einen möglichst reibungslosen Übergang vom "Musikantenstadl" direkt zur Morbidiade freizuschunkeln. Vermutlich werden die Verantwortlichen bei der Planung der Spiele hauptsächlich auf Wettbewerbe aus dem Bereich der Leichathletik zurückgreifen.

Inwieweit man ein solches Event im Fernsehen überhaupt etablieren kann, steht allerdings noch genauso in den Sternen wie die Frage nach der Gestaltung der Eröffnungsfeier und dem damit verbundenen Einmarsch der Athleten. Das Motto der Morbidiade steht jedenfalls bereits fest: "Leich und Leich gesellt sich gern."

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!