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die wahrheitGlücksboten gehen durchs Land

Von wegen Krise. Glücksbücher sind ein richtiger Renner und Dauerseller...

...Wer bei Amazon einen Ratgeber in Sachen Glück sucht, bekommt 3.288 verschiedene Angebote. Glücksuchende unter den Zeitgenossen haben also die Qual der Wahl des Weges zum Glück und könnten allein deswegen gleich richtig unglücklich werden.

Seit über 50 Jahren eruiert mittlerweile ein bekanntes Meinungsforschungsinstitut vom Bodensee die Quote der "glücklichen Menschen" in der Bundesrepublik. Der Befund: Der Anteil glücklicher Menschen von 1954 bis heute liegt praktisch konstant bei 25 bis 30 Prozent. Glückliche sind also krisenresistent glücklich. Der harte Kern der glücklichen Deutschen ließ und lässt sich offensichtlich durch gar nichts vermehren oder vermindern - weder durch Heidi Klum noch durch Franz Beckenbauer. Von Kriegen, Naturkatastrophen oder kapitalen Krisen lässt sich das Korps der Glücklichen schon gar nicht irritieren.

Für diese gilt jedenfalls Bertolt Brechts Diktum zur Glücksjagd nicht: "Alle rennen nach dem Glück / Das Glückt rennt hinterher". Wenn das Institut richtig gefragt, gezählt und gerechnet hat, sind die Hardcore-Glücklichen durch nichts zu erschüttern. Die jüngste Shell-Jugendstudie scheint den Hang zum Positiv- und Glücklichsein irgendwie zu bestätigen, obwohl die heute jungen Leute in Zukunft einiges auszubaden haben werden mit den Staatsschulden, mit dem hinterlassenen Atommüll und der wachsenden Zahl von alten und ganz alten Menschen. Fast könnte man meinen, glücklich zu sein in diesem Land sei eine Frage puren Wollens.

Diese dem Roman Herzog-schen Diktum "Es muss ein Ruck durchs Land gehen" nachgebildete Interpretation wird durch einen zweiten Befund des Umfrageinstituts konterkariert, demzufolge sich im Jahr 1954 noch ein Drittel der Bevölkerung als halb glücklich und halb unglücklich bezeichnete. Bis heute stieg jedoch die Zahl der Halbglücklichen kontinuierlich auf die Hälfte aller Einwohner. Trotz Flachbildschirm und iPod, Allradantrieb und Austernmesser. Für die Politik ist Genosse Glückstrend nicht gerade eine Ermutigung. Ganz unabhängig davon, wer gerade regiert, die Zahl der Halbglücklichen steigt kontinuierlich an.

Der polnische Philosoph Wladyslaw Tatarkiewicz hat in seinem Traktat "Über das Glück" (1984) eine Hypothese entfaltet, die erklären könnte, warum die Zahl der Glücklichen stagniert und jene der Halbglücklichen ständig wächst: "In einem Leben, das durch monotone mechanische Arbeit überfrachtet ist, die es unmöglich macht, über das eigene Schicksal nachzudenken, haben weder Glück noch Unglück einen Platz." Das erkannte eine polnische Putzfrau ganz ohne philosophische Hilfe: "Ich bin weder glücklich noch unglücklich, ich bin für beides zu müde."

Für die Politiker ist das kein Trost. Auf die Wähler übertragen, dürfte der Satz der Putzfrau lauten: "Ich bin weder für die einen noch für die anderen. Die ermüden mich beide." Wie das Lager der Halbglücklichen wächst auch jenes der vom Politikbetrieb ermüdeten Nichtwähler.

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