die wahrheit: Pralle Pampoeras
Argentinien-Woche in der Wahrheit: Helles Fleisch und dunkle Lust.
Egon W. wirkt wie festgewachsen auf dem durchgesessenen Sofa in seinem Reihenhäuschen in Mülheim an der Ruhr. Er starrt geistesabwesend auf die verwaiste monströse Sitzkuhle neben sich. "Gerda, wohin haben sie dich nur verschleppt?", murmelt er und fährt dann hoch: "Elende Gauchos! Ihr werdet mir das büßen!"
Zwei Monate zuvor war die Welt von Egon und Gerda W. noch in Ordnung. Alles sah so rosig aus wie ein saftiges Kalbssteak kurz vor dem Braten - die Eheleute waren auf dem Weg in die zweiten Flitterwochen. Gerda und Egon belohnten sich für 25 Jahre Ehe mit einem Trip nach Argentinien - eine Liebesreise nach Feuerland, ins wilde Patagonien, sollte es werden, um die Glut neu zu entfachen.
Einmal gemeinsam den Cerro Torre besteigen, Tango im Abendrot tanzen und dann ein romantisches Dinner mit allerlei Spezialitäten aus La Pampa. Doch die Reise sollte ein Albtraum aus Fleisch und Fleischeslust werden, den die beiden nie vergessen würden.
"Anfangs war das Land ein Idyll", fängt Egon zaghaft an zu erzählen. "Als wir aus dem Flugzeug stiegen, hätten wir uns spontan verlieben können. Die Gepäckwagen auf dem Rollfeld wurden von so kleinen, wuscheligen Eseln gezogen. Für ein paar Pesos konnte man sich und seine Koffer sogar bis ins Hotel tragen lassen." Dann wird Egons Blick finster: "Gerda hat ihr Eselchen immer Pedro genannt und hätte ihn am liebsten mit nach Hause genommen. Doch nun …" Er bricht schluchzend zusammen.
Was die beiden gutgläubigen Liebesreisenden nicht ahnten: Die Esel waren Handlanger der argentinischen Rindfleischmafia, die ihre skrupellosen und brutalen Geschäfte längst auf andere Zweige ausgeweitet hat. So ist auch die Packeselbranche fest in der Hand der "Asado Argentinia". Wer einmal auf die Esel steigt, ist quasi schon verloren, das mussten auch Egon und Gerda schmerzlich erfahren.
"Ich dachte mir schon, dass da etwas nicht stimmen kann, als am Straßenrand die Häuser immer niedriger und die Müllberge immer höher wurden. Das schien nicht der Weg zum Hotel zu sein. Und dann wurde es langsam Nacht auf dieser staubigen Straße." Plötzlich ging eine Leuchtreklame an über einem bunkerartigen Verschlag und die Esel hielten i-a-end an, sie bewegten sich keinen Zentimeter mehr. "Heiße Sachen", blinkte unentwegt ein Leuchtschild auf Spanisch. Hungrig, wie sie waren, beschlossen die Eheleute hineinzugehen - ein fataler Fehler.
Im Inneren der Spelunke herrschte rustikale Gemütlichkeit. Man begrüßte die beiden herzlich und klopfte ihnen den Staub aus den Trekkingklamotten. Sie waren die einzigen Gäste, außer ihnen lümmelten nur ein paar Ziegenhirten und ein Handvoll dralle Damen an der Bar. Zu Essen gab es Guanako-Gulasch, ein traditioneller Wildlama-Eintopf mit herzhaftem Bohnengemüse. Doch vom Verdauungsschnaps hätten die beiden besser die Finger gelassen. Kaum getrunken, sanken sie bewusstlos zu Boden.
Egon erwachte in einem schummrigen Raum. Über sich erblickte er drei glutäugige Nymphen mit prallen Pampoeras. "Ich hatte so etwas noch nie gesehen, so ganz anders als bei Gerda waren die …" Zum ersten Mal schleicht sich der Anflug eines Lächelns auf Egons Gesicht.
Nebenan hatte er Gerda ja schreien gehört, doch dachte er sich damals nichts dabei. "Wenn sie mir etwas Gutes taten, dann Gerda bestimmt auch", erklärt er. Er habe die Bräuche des Landes nicht missachten wollen und gab sich deshalb den stierwilden Nymphen hin. Auch wenn ihre Art etwas befremdlich auf ihn wirkte: Sie bissen ihm in die Schenkel und nagten an seinen Brustwarzen. Von erotischer Verzückung benebelt schwanden seine Sinne und er fiel in einem unruhigen, traumschwangeren Schlaf.
Festgeschnallt auf Eselchen Pedro und mit einem blutdurchtränkten Verband an der Hüfte kam Egon wieder zu Bewusstsein. Schlingernd steuerte Pedro auf das Terminal des Flughafens zu. Egon sah, dass hinter ihm nichts war, nur endlose Steppe - und keine Gerda. Die abgebrühten Verladegauchos winkten den Esel und ihn einfach durch und verstauten Egon dann im Gepäckraum der nächsten Maschine nach Deutschland.
Bis auf die Knochen durchgefroren und verwirrt wurde er in Dortmund vom Zoll gefunden und als Fall Nummer 308 in die Kartei der argentinischen Asado-Opfer aufgenommen. Man riet ihm zu schweigen und machte ihm keine Hoffnung, Gerda jemals lebend wiederzusehen. Er habe im Übrigens noch Glück gehabt, sagte man ihm. Und wie recht die Beamten damit hatten. Gerda steht noch heute getarnt als Hüftsteak auf der Karte des "Heiße Sachen" und wartet auf die nächsten ahnungslosen Opfer.
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