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die wahrheitIm Jahr des Tigers: das kritische Schaf

Bevor jetzt gleich das Jahr des Hasen anbricht, bin ich erst einmal auf das Schaf gespannt. Es heißt Xi Yang Yang, was doof und halbfalsch mit "Pleasant Goat" übersetzt wird, ...

... und ist die populärste Trickfilmfigur Chinas. In mehr als tausend hiesiger Fernsehepisoden war es der Hauptdarsteller, zusammen mit seinem Gegenspieler, dem einfältigen Wolf Hui Tai Lang. Und seit zwei Jahren treten beide auch zu jedem chinesischen Neujahrsfest in einen abendfüllenden Spielfilm auf.

Als ich zu Anfang des vergangenen Jahres den zweiten Film sah - auf Englisch war er mit "The Tiger Prowess" betitelt -, staunte ich nicht wenig. Anders als die meisten chinesischen Major-Produktionen war er nicht nur ziemlich unterhaltsam, sondern auch inhaltlich nicht schlecht. In der Xi-Yang-Yang-Serie kämpft für gewöhnlich der Wolf Hui Tai Lang gegen die Schafe, die er fressen will. Doch in diesem Film war alles anders. Wölfe und Schafe werden gemeinsam von einer Mafiagang bedroht, die von zwei Tigern und einem Gecko gebildet wird. Die Bande führt sich auf wie eine typische chinesische Immobilienfirma. Sie lässt die Wohnungen von Schafen und Wölfen abreißen, um auf ihrem Grund und Boden einen Vergnügungspark zu errichten. Und so schließen sich die beiden eigentlich verfeindeten Gruppen zur Verteidigung ihrer Existenzgrundlagen zusammen.

Am Ende des Films stellt sich heraus, dass die Mafia-Investoren auch noch allesamt Betrüger sind. Ein angeblicher Tiger ist in Wirklichkeit eine fette Katze, der andere eine Hyäne, und der Gecko entpuppt sich als kleiner Dinosaurier. Der hat die Tiger gefälscht, weil er so im Tigerjahr problemlos an eine Abriss- und Umsiedlungsgenehmigung kommen konnte. Ein Betrug, wie er sich so ähnlich fast jeden Tag auch im wirklichen China ereignet. Dazu greift der Film nur schwach verbrämt noch andere problematische Phänomene aus dem chinesischen Alltag auf: Zwangsarbeit in unsicheren Bergwerken, das Auftreten der Schweinegrippe, der Desertifikationsprozess, dem Teile Chinas unterworfen sind - die Wüste, durch die Xi Yang Yang und Hui Tai Lang irren, war einmal grünes Grasland -, oder Schlägertrupps, die für Immobilienfirmen arbeiten.

Kein Wunder, dass "The Tiger Prowess" mit einem Einspielergebnis von umgerechnet knapp 14 Millionen Euro alle bisherigen chinesischen Kinokassenrekorde schlug, denn er ist auch für Erwachsene nicht langweilig. Vorgeblich ein reiner Kinder- und Fantasyfilm, enthält er nicht nur mehr politischen Sprengstoff als jeder Realfilm, der in den letzten Jahren in die chinesischen Kinos kam. Er zeigt auch, was hierzulande an Kritik in Massenmedien möglich ist, wenn man sich nur ein bisschen geschickt anstellt.

Jetzt warte ich schon ganz ungeduldig darauf, was der Xi-Yang-Yang-Neujahrsfilm diesmal bringen wird. Er heißt übersetzt etwa so viel wie "Xi Yang Yang und Hu Tai Lang und das tipptoppe Hasenjahr". "Ding gua gua" = "tipptopp", was das wohl bedeuten mag? Vielleicht ein riesiges Kaninchen, das wählen geht? Ich platze bald vor Neugier.

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5 Kommentare

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  • MW
    Mading Waizi

    Huzei: Die Chinesen unterscheiden nämlich gar nicht zwischen Schaf und Ziege, zwischen Maus und Ratte übrigens auch nicht.

     

    Dafür gibt es über 20 unterschiedliche (regional teilweise abweichende) Wörter für die Farbe Gelb.

     

    CYS: Danke, dieses Eingeständnis hat mir viel bedeutet. Ab jetzt werde ich ihre Berichte noch genauer lesen und immer dann aufschreien, wenn es angebracht ist.

  • HZ
    HU Zei

    Lieber CYS,

    nur nicht zu tief kotau, denn so Einspielergebnisse sind doch eh pillepalle. Die Handlung klingt recht ansprechend und außer Ihnen hätte mir davon doch eh niemand erzählt! (Und so auch niemand von der 1A-Taschenlampe, deren Lichtkegel zum Faulenzer macht!) Nur: wer macht da aus nem chinesischen Schaf ne englische Ziege? Schludrigkeit, nicht deine.

    Xi yangyang kann optisch locker gegen Spongebob oder Lilifee anstinken, und Merchandising nervt doch immer. (Der Link ging leider nicht, Mading, Shit happens..)

    Das gern gebrauchte Chinabashing erledigt ein wacher Blick auf Europas Zustände längst schon als Ablenkungsmanöver und ist obsolet, Wantan, Maultaschen, Ravioli oder Manti werden alle in Wasser angekocht.

  • C
    CYS

    @ Mading Wazi: Danke fuer die Korrektur! Mir kam die Summe fuer chinesische Verhaeltnisse auch sehr niedrig vor. Das Einspielergebnis habe ich aus diesem sehr informativen Artikel aus der Beijing Review. Dort heisst es: "Im Januar 2009 gestartet, spielte er bereits am ersten Tag acht Millionen Yuan (852 500 EUR) ein – doppelt so viel wie der Hollywood- Blockbuster Kung Fu Panda – und brach mit 90 Millionen Yuan (9,6 Millionen EUR) den bisherigen chinesischen Kassenrekord [das betrifft den ersten Film, CYS]. Ein Nachfolgestreifen wurde 2010 in die Kinos gebracht und spielte 130 Millionen Yuan (13,8 Millionen EUR) ein." Ich habe dann wohl die Rekordmeldung zum ersten Film auf den zweiten uebertragen. Das ist natuerlich unverzeihlich. Ich werde mich sofort hinsetzen und eine Selbstkritik schreiben. Sie wird geharnischt ausfallen, das koennen Sie mir glauben.

     

    @Matthias: Auch den "einfaeltigen" Hui Tai Lang nehme ich mich Bedauern zurueck. Du hast Recht: Schuld an allem ist Hong Tai Lang, seine Frau.

     

    Alles in allem: Ein schwarzer Tag fuer diese Kolumne, ein 9/11 fast. Troestlich nur, dass ich solche Leser habe. Demuetig verneige ich mich vor Euch und streue dabei noch einmal Asche auf mein Haupt.

     

    Hier der Link zum BR-Artikel: http://german.beijingreview.com.cn/german2010/kuk/2010-11/09/content_310527.htm

  • MM
    Matthias Mersch

    Lieber Y.,

     

    Du hast ausnahmsweise in fast allem Recht: dass Hui Tai Lang aber „einfältig“ sei, ist eine grobe Unwahrheit! Er ist ein genialer Erfinder, was er in fast jeder Folge unter Beweis stellt – ich erinnere hier nur an seine Taschenlampe, die jeden, der in ihren Lichtkegel gerät, zum Faulenzer macht, oder den vorzüglichen Handschuh, der beim Händeschütteln die Körperkraft des Begrüßten auf den Handschuhträger transferiert. Wer hingegen zum dauernden Missgeschick Hui Tai Langs bei der Schafsjagd maßgeblich beiträgt, ist seine ungezogene Ehefrau Hong Tai Lang, ihre Verachtung des Gatten, ihre Streitsucht, ihre grundlose Mäkelei, ihr vollkommen überdimensioniertes Anspruchs- und Versorgungsdenken und ihre brutale Gewaltausübung in der Ehe mittels Bratpfanne! Das könnte man ja noch für lustig halten, wenn die „Dame“ nicht leider inzwischen zum Rollenmodell für heiratswillige Chinesinnen geworden wäre.

     

    @Mading Waizi, Ihre Rechnung stimmt, Ihr Geschmack aber bedarf der Reifung! Xi Yang Yang und seine Freunde bereichern auch optisch den chinesischen Alltag, was sich von den wenigsten Errungenschaften der sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung sagen lässt ...

     

    Morgen ist Premiere!

  • MW
    Mading Waizi

    Sehr geehrter Herr Y. SCHMIDT!

     

    Ich lebe ja auch in China und habe ihre Bücher und Kolumnen gelesen, nur um ihnen im Geiste manchmal zu widersprechen. Aber JETZT werde ich dieses auch in aller Öffentlichkeit tun, weil sie nämlich ganz offensichtlich UNRECHT haben und es mir Genugtuung verschafft, sie zu berichtigen!

     

    "Avatar was the biggest film in China in 2010, having taken $204m (£141.5m). In contrast the top-grossing Chinese film, Aftershock, made just $100m (£64.5m)."

    http://www.bbc.co.uk/news/entertainment-arts-12150041

     

    Tja, Herr Y. Schmidt, das sie es mit ihrer Recherche nicht immer so ganz genau nehmen habe ich mir nämlich schon öfters gedacht!

     

    Das YangYang so viel Gesellschafts- und Staatskritik vermittelt wusste ich nicht und das ist natürlich toll aber es muss auch gesagt werden, das diese Figur sehr zur verhässlichung des Alltages beiträgt (ähnlich wie Didl einst in Deutschland), weil es penetrant auf Klamotten, Schulranzen, Autos und sogar auf kleine Spiegelchen für Mädchen gedruckt wird.

    Für alle, die es nicht wissen, YangYang sieht nämlich so aus: http://hiphotos.baidu.com/waitu_forever/pic/item/8ecacd393567650eb9998f22.jpg