die wahrheit: Nackt durch die Loipe
Neuer Wintersport: Nudisten erobern den traditionellen Skilanglauf.
Die tiefverschneiten Wiesen und Wälder rund um den Zipflwirt in Bayrischzell gleichen einer Wintermärchenlandschaft. Die Äste der Tannen ächzen unter der Last des "weißen Goldes" (Horst Seehofer), hie und da lugt ein Rehkitz verstohlen aus der Schonung und auch das Käuzchen lässt seinen notorisch müden Schrei erklingen. Mitten durch dieses Postkartenparadies führt ein dichtes Netz an bestens präparierten Loipen, die für den ambitionierten Wintersportler wie den betagten Genussfahrer alle Schwierigkeitsgrade bereithalten.
"Dat is so ungemein griebig hier herunten", meint auch Urlauber Roderich Ernst aus Nordrhein-Westfalen in bestem Ruhrpott-Bayerisch. Das Merkwürdige nur: Außer Schuhen hat Ernst nichts an, der leicht übergewichtige Bottroper steht nackt auf seinen Brettern.
In dieser Bilderbuchidylle, wo sich früher Fuchs und Skater gute Nacht sagten, taucht nun immer häufiger ein Gast auf, der für gehörig Wirbel in diesem verträumten Landstrich sorgt: der Nacktlangläufer. Nackt, wie Gott ihn schuf, gleitet er durch den Winterwald, unbekümmert und frei zieht er seine Runden. Doch wie hält er die knackige Kälte ohne den Schutz von Funktionsunterwäsche und Softshell-Anzug aus? "Beim Langlaufen kommt man ganz schön ins Schwitzen", erklärt Roderich Ernst, ein Nacktskater der ersten Stunde, "solange man sich bewegt, spürt man die Kälte kaum." Eisenharte Burschen scheinen dies zu sein, die da im Adamskostüm auf den Loipen für Furore sorgen.
Immer öfter sind aber auch mahnende Stimmen zu vernehmen, die vor der Zersetzung der traditionellen Langlaufkultur warnen. "Das ist doch eine Riesensauerei, was die Nackerten hier treiben. Dieses artfremde Gschwerl gehört verboten!", fasst etwa Landwirt Alois Gantenhuber ohne Umschweife die Haltung der Einheimischen zu dieser ganzen neumodischen Entwicklung zusammen.
Doch die übliche Abwehr alles Neuen ficht die engagierten Nacktlangläufer nicht an. "Es gibt so viele FKKler und Nudisten in Deutschland", erklärt Erwin Singhammer, Vorsitzender der Nacktskatervereinigung Ruhpolding, den Trend. "Die wollen sich nicht nur im Sommer in der frischen Luft aufhalten, sondern auch im Winter. Für diese Menschen ist der Nacktlanglauf eine wunderbare Gelegenheit, auch in der kalten Jahreszeit die Freikörperkultur zu pflegen, einfach mal die Seele baumeln zu lassen - und manches andere natürlich auch."
Während Traditionalisten und Brauchtumspfleger sich über die neue Sportart empören, verfolgt Marion Brandner, Gründerin des Bayrischzeller Nacktläufervereins "Freischwinger", trotz der Anfeindungen große Ziele. Sie will ihren Heimatort zu einem Eldorado des FKK-Wintersports machen. "Bayrischzell könnte so aus seinem touristischen Dornröschenschlaf gerissen werden. Wenn wir diese Nische besetzen und konsequent ausbauen, verfügen wir über ein touristisches Alleinstellungsmerkmal, um das uns die ganze Alpenregion beneiden wird." Die umtriebige Frontfrau der Freischwinger weiß auch schon, wie sie ihre Vision umsetzen kann. Da von den einzelnen Nacktlangläufern zu wenig Öffentlichkeitswirkung ausgeht, plant sie eine Reihe von sportlichen Großveranstaltungen, die der Idee des Nacktlanglaufs endgültig zum Durchbruch verhelfen sollen. "Biathlon hat in Deutschland massenhaft Anhänger. Ein ,Nackathlon' rund um den Zipflwirt wäre da ein absoluter Publikumsmagnet." Marion Brandner ist sich sicher: "Die Menschen lieben einfach diese unwiderstehliche Kombination aus Langlauf und Geballere. Und was gibt es Schöneres, als nackten Topathleten dabei zuzuschauen, wie sie ihre gestählten Körper in den Schnee werfen, um ihre Präzisionsschüsse abzufeuern."
Xaver Hieberl, Chef des örtlichen Fremdenverkehrsamtes, geht noch einen Schritt weiter. Er wittert in der neuen Trendsportart die große Chance für Bayrischzell. Und dabei hat er vor allem Münchens und Garmischs Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2018 im Visier. Bekommt München den Zuschlag für die Winterspiele, plant Hieberl als Ergänzung die Ausrichtung von Nudeolympics. Dann könnten in und um Bayrischzell alle olympischen Disziplinen nackt ausgetragen werden. Das Interesse der Weltöffentlichkeit an der Übertragung von Wettbewerben wie Nacktcurling oder Nacktbob wäre sicher überwältigend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe