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die wahrheitSchwabinger Krawall: Dimpfeleien beim Feierabendbier

In den Schankbetrieb seiner Stammwirtschaft mischt sich Herr Kellermann normalerweise nicht ein. Doch als er das Lokal betrat, um sein Feierabendbier einzunehmen, ...

... hat er den jungen Mann, der am Tresen saß und unablässig in den Bildschirm eines Laptop starrte, mit einem gewissen Misstrauen beobachtet, das sich als berechtigt erwies, als der Mann seine vier alkoholfreien Flaschenpils bezahlen wollte und auf die Aussage der Kellnerin, das mache 11,60, antwortete, sie solle auf 12 Euro aufrunden. Da hat Herr Kellermann ausnahmsweise ein siebtes Feierabendbier bestellt und den Mann gefragt, ob ihm sein Hartz IV wegen aktiver Arbeitsverweigerung gekürzt worden sei, in welchem Falle er nicht in anständigen Wirtshäusern herumzulungern und das arbeitende Volk mit Almosen abzuspeisen habe, sondern lieber zu Hause bleibe und sich qualifiziere.

Der fremde Mann hat mit erheblich norddeutschem Akzent betont, er wolle nicht mit "Freaks" diskutieren, da er von Folklore nichts halte. Im Übrigen sei er der zukünftige Inhaber dieses Ladens und werde auf sein Recht zurückgreifen, die Bewirtung von atmosphärisch unstimmigen Krawallgesellen zu unterbinden, zumal seine neue Konzeption für die Lokalität ab 1. Mai greifen werde und er High-End-Gastronomy für die nachhaltigkeitsbewusste Elite anzubieten gedenke, in der für Dimpfeleien eine Nische nur sehr bedingt vorgesehen sei.

Am Stammtisch herrscht atemlose Stille. Die Schafkopfrunde der kommunistischen Altstudenten und Taxifahrer verharrte ebenfalls regungslos, mitten im Stich.

Herr Kellermann erklärt, er habe Verständnis für den Wunsch junger Menschen, Visionen zu haben oder wie man das heutzutage sage. Man könne jedoch nicht auf eine rückhaltlose Toleranz alteingesessener Bürger rechnen, wenn man sich anschicke, diese aus ihrem angestammten Bereich vertreiben zu wollen, wo sie es gewohnt seien, als anständige gestandene Männer in anständiger Umgebung ihr verdientes Feierabendbier zu verzehren. In einem solchen Fall könne der Herr sich gern jeden Abend aus seinem Lokal hochkant hinauswerfen oder bei Nichtanwesenheit sich selbiges in Klump und Asche hauen lassen, weil anständige Männer es sich keineswegs bieten lassen müssten, dass derart mit ihnen umgesprungen wird, sondern in einen Volkszorn hineingeraten könnten, der sich gewaschen habe, weil es so nicht gehe und aus. Der junge Mann setzt zu einer Antwort an, zu der es jedoch nicht mehr kommt.

Als Polizei und Sanitäter eintreffen, ist die Lage unübersichtlich, da das Hauptopfer der über Funk gemeldeten Massenschlägerei seine Aussagen zum Hergang der vielfältigen Sachbeschädigungen und Körperverletzungen auf die Zusicherung beschränkt, sein veganes Bistro doch lieber im Glockenbachviertel zu eröffnen, weil dieser Stadtteil hier offensichtlich von komplett wahnsinnigen Neandertalern bewohnt sei. Die übrigen Anwesenden erklären, sie hätten weder etwas gehört noch gesehen und wollten lediglich in Ruhe ihr Feierabendbier trinken.

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2 Kommentare

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  • HM
    HU München

    "Im 19. Jahrhundert kam es vor allem in München immer wieder zu Unruhen und Ausschreitungen, wenn der Bierpreis geringfügig erhöht wurde. Dabei wurde regelmäßig von den Gästen in Wirtshäusern randaliert, wobei weder Tische noch Stühle heil blieben. Ein erhöhter Bierpreis wird zum Teil auch als Hintergrund der so genannten „Salvatorschlacht“ von 1888 angesehen." (Wikipedia/Geschichte des Bieres)

    Da muß so ein Nordlicht schon ganz schön ahnungslos in bayrischem Brauchtum sein! Dabei ist das Bier doch das allererste veganische Lebensmittel sowie Trost- und Kraftspender für alle Lebenslagen, nicht nur das Starkbier der Fastenzeit, auch das extrastarke Schlepperbier der Wikinger für die Tragestrecken ab der Düna, wenns mal wieder zum Plündern nach Kiew oder Moskau ging. Also nicht gerade die Ernährungsgrundlage von Pazifisten. "Bier und Hanf gehörn zum Kampf" sagen die Spontis auch nicht ohne Grund!

  • P
    peripatus

    Wenn eine Schafkopfrunde still mitten im Stich verharrt ist etwas so Existenzielles und Bedrohliches passiert das sich das ein Außerbayrischer gar nicht vorstellen kann.Dieses Innehalten und Abbrechen des Spielflusses ist nur vergleichbar mit dem plötzichen Stopp des Neutronenflusses und der Kernspaltung in einem Reaktorkern so abwegig und unwahrscheinlich wie die Kernschmelze in Fukoshima oder Isar1.Dieses Einfrieren des Augenlicks geschieht nur in der Wahrnehmung des Herrn Sailer und des Herrn Kellermann: Die Stichhand mit dem Trumpf über dem Tisch und dem sicheren Stich gleicht der Szene im Film Matrix wo die schwarzen Kämpfer festgefroren sind in der Zeit und in der Luft -und die Kammera kreist langsam um sie herum.In der Realität steht die Zeit aber nicht still und schon gar nicht beim Schafkopfen und die Stichhand saust hernieder und greift sich dann das schwere Weißbierglas.

    Der Fortgang und das Ende der Geschichte ist dann ja wieder glaubwürdig beschrieben.