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die wahrheitMeuchelnde Lorcheln

Wenn die Frühlingsboten Huflattich, Leberblümchen und Anemonen aus dem Boden schießen, folgen nach den ersten warmen Regen im April die Morcheln und Lorcheln...

...Beide Pilzarten sind bei Feinschmeckern beliebt, doch sind sie nicht unumstritten. Der Botaniker Hieronymus Bock schwärmt jedoch im Jahr 1546 noch uneingeschränkt: "Die besten (Schwämme) von allen sind die, so im Aprillen bis zum Anfange des Maiens bei den alten Obstbäumen, nicht weit von den Wurzeln gesehen werden. Die Form dieser Schwämme ist rund als ein Hütlein, auswendig voller Löchlein, gleichwie der Biene Häuslein anzusehen, von Farbe ganz grau."

Doch Obacht, Sammler: "Die Morchelarten an sich sind an und für sich sehr veränderlich", wie der als "Hennig" bekannte Pilzführer schreibt. Doch der Genuss der morchelähnlichen Lorchel kann fatal enden! Denn die Lorchel ist der einzige Speisepilz, der sowohl essbar wie giftig sein kann! Man rechnet etwa vier tödliche Lorchelvergiftungen pro Jahr in Deutschland, so dass seit der ersten dokumentierten, tödlich verlaufenden Lorchelvergiftung im Jahr 1829 viele hundert Menschen an dem Pilz starben. Allein 1929 sind 42 Vergiftungsfälle bekannt geworden, denen fünf Menschen zum Opfer fielen.

Warum die heimtückische Lorchel den einen Pilzfreund dahinrafft, seinen Mitesser jedoch womöglich verschont, darüber rätselt die Wissenschaft noch heute. Der prominenteste Todesfall soll Buddha gewesen sein. Als Ursache wurde schon 1886 von Böhm und Kielz die giftige Helvella-Säure erkannt, die nicht umsonst nach der Hölle benannt wurde. Die Anzeichen der Lorchelvergiftung sind wie beim Alkohol-Abusus Kopfschmerzen, Durst und heftiges Erbrechen.

Die Lorchel gilt in Nord- und Ostdeutschland als Massenpilz, so wurden in der Lausitz einmal über 50.000 Kilogramm geerntet, und in den Fünfzigern wurden viele hundert Zentner nach Berlin geliefert. Wie viele Berliner der Lorchel zum Opfer fielen, weiß niemand, da Vergiftungen dort von Haus aus auf König Alkohol zurückgeführt werden.

Die Verwirrung um Lorcheln und Morcheln beginnt schon bei der Namensgebung: Die ungiftige Herbstmorchel wächst im Frühling (oder Herbst), und die heikle Frühlorchel wird auch Stockmorchel genannt. Sie gilt als die schmackhafteste Art, kann aber zum frühen Tod führen! Die Namensverwirrung wird bei der morchelverwandten Verpel oder Fingerhutmorchel auf die Spitze getrieben, denn diese ist nicht giftig, obwohl der Name das nahelegt. Die größte Morchelart ist keineswegs die Dickfußmorchel, sondern die Hohe Morchel. Die Morchel-Literatur weiß sogar von einem 85 Zentimeter hohen Prachtexemplar zu berichten!

Der Spitzmorchel wird eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben, und sie wird gern getrocknet. Auch der pfiffige Finne versucht diesem Risiko aus dem Weg zu gehen, indem er seine Lorcheln trocknet. Vermutlich funktioniert das aber nur, weil den finnischen Lorcheln ohnehin die giftige Wirkung abgeht.

Wie wir die leckere Lorchel erkennen? Am gehirnartigen, unangenehmen Aussehen des Hutes und dem "kantigen, grubigem mit vergänglichen Filz bekleideten Stiel" (Pilz-Hennig). Pilzexperten empfehlen mit dubiosen Merkversen Morcheln zu unterscheiden: Die Morchel mit dem M wie Magen / Kannst du in jedem Fall vertragen, / die Morchel mit dem L wie Luder / ist immer ein ganz giftger Bruder.

Daran kann man sich halten, es nutzt allerdings in der Sache nur, wenn die Pilze vorher für die Pilzsammler beschriftet werden. Ob Morchel oder Lorchel: Auf jeden Fall sollte man sie zehn Minuten abkochen, das (jetzt giftige) Wasser abgießen und den Pilzkörper im Sieb sorgfältig ausdrücken. Die endgültige Gewissheit, ob es die Lorchel war oder die Morchel, bringt nur der Verzehr. Geht es einem danach gut, so kann es eine Morchel oder eine Lorchel gewesen sein. Im tödlichen Fall war es mit Sicherheit eine Lorchel - und zwar eine mit letalem "L"!

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