die wahrheit: Trinken und schütten
Ich trinke gern. Und da bin ich nicht allein. Mein Freund Achim ist der Meinung, dass uns im Laufe unseres Lebens eigentlich zwei bis drei Kneipen gehören müssten...
...So viel haben wir jedenfalls leergetrunken. Ganze Bücher werden gerade über das Trinken geschrieben. Die einen schreiben, warum Trinken toll ist, die anderen, warum Trinken tödlich ist.
An der Theke sagte gestern der Trinker neben mir, als wir gerade die Gefahren des Alkohols mit den Kernschmelzen in Fukushima verglichen: "Ein Bier ist kein Atomkraftwerk! Ich geb noch einen aus."
Nichts ist schöner als ein feiner Rausch - es sei denn, man ist heute jung. In unserer Jugend gingen oder fuhren wir irgendwohin, um dort zu trinken. Wir tranken nie unterwegs, und wir tranken niemals vorher. "Vorglühen" war uns unbekannt. Diese neue Mode aber, auf dem Weg von A nach B eine Bierflasche geöffnet in der Hand zu halten, als wäre man mit Speiseeis unterwegs, das ist eine Unart.
Muss man es denn so eilig haben, dass man im Gehen ständig einen Schluck nimmt? In diesem Land verdurstet doch keiner. Unterwegs schon trinken, dabei geht der Coolnessfaktor völlig verloren. Wobei man sowieso froh sein kann, aus einer Generation zu stammen, die sich nicht die Haare von hinten nach vorne kämmen muss.
Wer seine ersten Alkoholversuche nicht in den siebziger Jahren gemacht hat, kennt "Persiko" nicht. "Persiko" war rot, süß, klebrig und gefährlich. Aus Pfirsichkernen! "Persiko" wurde produziert in Haselünne im Emsland von Berentzen. Kürzlich war ich in Haselünne! Dort finden sich unter dem Stichwort "Industrie" vier Unternehmen, davon sind drei Kornbrennereien! Glückliches Emsland. Rosche produziert "Moorwasser" und "Jagdtrophäe", Heydt stellt "Schinkenhäger" und "Urkönig" her. Und dann war da eben noch der legendäre "Persiko".
Als ich all die Namen nur las, verzog sich mein Gesicht. Ich erinnerte mich gleich an den grässlichen Geschmack all dieser Schnäpse, daran, wie wir dieses Zeug literweise geschluckt haben. Denn "geschmeckt" hat es uns nie. Aber wenn die Flasche alle war, fühlten wir uns wie Toreros nach dem Degenstoß. Und drüben wartete schon der nächste Bulle, eine Flasche "Doornkaat", und wir wedelten mit der Muleta, mit dem roten Tuch, und sie lief auf uns zu, während wir sie elegant unter dem geschwungenen Tuch hindurchtauchen ließen und austranken.
Ich bin bis heute ein begeisterter Trinker. Aber an diesem Tag in Haselünne kam mir all die Unvernunft meiner Jungmännerjahre hoch, und ich rührte keinen einzigen Tropfen an - nicht einmal im nichtöffentlichen Raum. Vielleicht sind wir ja schon völlig amerikanisiert und haben deshalb eine Abneigung gegen das öffentliche Trinken.
Manchmal sehnt man sich schon nach den braunen Papiertüten für Schnapsflaschen, die man nur in den Staaten sieht. Aber nie werde ich mit nach vorn gekämmten Haaren und einer offenen Flasche Bier durch eine Stadt laufen. Oder mit Persiko. Denn den gibt es jetzt wieder, aus Haselünne, als "Retro Klassiker"!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten