die wahrheit: Tantra mit Bonobonos
Torben, der Therapietapir, schaut mich seit drei Stunden lächelnd an und nickt dabei unentwegt. Tapire gelten als extrem sensible und aufmerksame Zuhörer...
...gerade wenn Patienten sich nicht so recht öffnen können oder wollen. Ich zum Beispiel habe noch gar nichts gesagt, denn immer wenn ich gerade ansetzen will, von meinem hartnäckigen Waschzwang zu berichten, erleichtert sich Torben grunzend ins Waschbecken.
"Tapire setzen ihren Kot ausschließlich im Wasser ab", erklärt Alfred Merseburg, der Nestor der deutschen Tiertherapie. Der graumelierte Mittsechziger, der Ulrich Wickert erstaunlich ähnlich sieht, bezeichnet Torbens Vorgehensweise als Konfrontationstherapie und weist mich an, im Anschluss an unsere Sitzung das Therapiegehege zu säubern.
Der ehemalige Zirkusdirektor aus Bottrop leitet Deutschlands erfolgreichstes Zentrum für tiergestützte Therapie. "Man muss mit der Zeit gehen", erklärt der Mann mit dem Zylinder unumwunden. "Als kleiner Wanderzirkus hatten wir keine Chance. Im Gesundheitswesen dagegen …"
Und tatsächlich, kaum etwas an der florierenden Privatklinik erinnert noch an den trostlosen, kleinen Zirkus, den Merseburg vor Jahren wahlweise von seinem Onkel geerbt oder beim Würfeln gewonnen haben will. Zumindest wenn man vom zeltartigen Bau der Klinik und der etwas ruppigen Art der Pflege absieht, welche die beiden diensthabenden Clowns ihren Patienten angedeihen lassen: Peitschenknallend und mit gellenden Schreien rufen sie die Patienten wie die Therapeuten zur nächsten Sitzung.
Das Gewerbe mit den tierischen Therapeuten boomt, besonders Delfinen werden nahezu übernatürliche Fähigkeiten zugesprochen: Durch bloßes Flossenauflegen sollen sie alle möglichen Gebresten wie beispielsweise lästigen Sardinenbefall, chronische Wasserscheu oder gemeinen Autismus heilen können. Außerdem haben sie die Ultraschallgeräte bereits serienmäßig eingebaut, und welcher menschliche Arzt könnte das von sich behaupten?
Merseburg selbst hält allerdings wenig von den gelehrigen Meeressäugern im weißen Kittel: "Die bescheißen ständig bei der Abrechnung mit den Kassen, weil sie sich für so verdammt schlau halten." Deswegen setzt er lieber auf Therapeuten aus dem klassischen Streichelzoosegment wie Kaninchen, Zicklein oder Shetland-Pony, muss aber zugeben, dass unter Privatpatienten vor allem extravagantere Tiere wie Doktorfische oder die weisen Marabus nachgefragt werden.
"Je exotischer, desto wirksamer", wundert sich Merseburg. "Ein bisschen wie in der chinesischen Medizin. Da muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden." Dies gilt besonders für den richtigen Umgang mit den vier- bis achtbeinigen Therapeuten: "Erst neulich ist unser Therapienashorn wieder heimlich angeraspelt worden", seufzt er und reicht mir einen irdenen Napf. "Das ist lecker? Was ist das?" - "Therapiehuhnsuppe. Hilft gegen Erkältung."
Merseburg spricht von Expansion: Eine Dickhäutertherapie gegen Neurodermitis will er anbieten und eine Piranhatherapie gegen Adipositas. Unlängst habe er eine Gruppe Burnout-Patienten mit ein paar Faultieren zusammengesperrt, erzählt Merseburg, mittlerweile könne er sie kaum noch unterscheiden, ohne vorher die Zehen nachzuzählen.
Außerdem sieht er großes Sparpotenzial, wenn teure medizinische Therapien durch wesentlich preisgünstigere Tiere ersetzt würden. "Für unsere hochwirksame Krebstherapie brauchen wir kaum mehr als eine Tüte leckerer Shrimps."
Merseburg schnappt sich ein Megafon, zieht einen weißen Kittel über und geht "Patientenkobern", wie er es nennt: "Hier wieder mitmachen, hier wieder dabei sein", versucht er ein autistisches Mädchen zu animieren, das sich gegen ein besonders anhängliches Meerschweinchen zu wehren versucht, dann verkauft er Bons für Psychoanalyse oder Zuckerwatte und zieht aus einer großen Lostrommel den Gewinner des Bonobo-Tantra in der Toskana, während Torben, der Therapietapir, seinen nächsten Patienten anzulächeln beginnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Analyse zu AfD-Wahlprogramm
Auf dem Rücken der Ärmsten