die wahrheit: Nachbildungen der Müllhalde
Neulich fand ich in dieser Zeitung einen interessanten Artikel über einen Fachmann für Wohnungsauflösungen, den ich aufhob...
... Mit so jemandem bekommt ja jeder früher oder später zu tun, es sei denn, er entschließt sich, die Wohnung seiner Eltern nach deren Tod als eine Art Kindheitsmuseum zu bewahren.
Die Zeitungsseite balancierte nun ganz oben auf den unsortierten Papierstapeln auf meinem Schreibtisch. Dort entwickelte die Überschrift "Vorformen der Müllhalde" allmählich unangenehm appellativen Charakter. Ich warf den Artikel trotzdem nicht weg, denn der Mann berichtete von einer merkwürdigen Berufsdeformation: Er kann nicht mehr zu Ikea gehen, weil es ihn so deprimiert, zu sehen, was für Plunder die Menschen dort heraustragen, nämlich denselben Plunder, den er nach ihrem Tod entsorgen muss. Das Zeug, so argumentiert er, sei bereits im Augenblick des Kaufs nichts mehr wert.
Ein bemerkenswerter Gedanke. Mich deprimiert Ikea ebenfalls, auch wenn ich selbstverständlich nur nützliche Teelichter kaufe, die erst im Verglühen nichts mehr wert sind. Dann haben sie immerhin ihren Job gemacht. Allerdings schleiche ich mit hängender Zunge durch die Plunder-Abteilung und kann nur durch den gut ausgebildeten Bewacher an meiner Seite an ruinösen Shoppingmarathons gehindert werden: "Schatz, du brauchst keine Kleinregale für deinen Schreibtisch!" - "Dann würde ich endlich Ordnung halten", maule ich und glaube mir selbst nicht. Aber das ist der heimliche Grund für den Ikea-Plunder-Kauf: das Versprechen, dass sich zu Hause etwas ändert.
Dabei soll sich eigentlich gar nichts ändern, man möchte nur das Leben ein bisschen umdekorieren, ikeaisieren sozusagen. Ich bin sicher, die Stapel räumen sich in Ivar sogleich von selbst auf, und die neue Gießkanne erinnert sich regelmäßig ohne mein Zutun daran, die Pflanzen zu gießen, bevor sie aussehen, als würden sie auf den Wohnungsauflöser warten.
Ich gehöre übrigens nicht zu den herzlosen Gesellen, die deswegen die alte Gießkanne wegschmeißen. Dafür, dass sie tropft, kann das gute Stück ja nichts; ich bin mal draufgetreten. Seitdem schließt der Gießaufsatz nicht mehr richtig. Die beiden Gießaufsätze, die ich von ihren Vorgängerinnen sicherheitshalber aufbewahrt habe, passen leider nicht. Auch die Billy-Bretter im Keller, die nur ein bisschen nach Schimmel riechen, mögen sich nicht in Ivar fügen. Die Marmelade, die ich seit zehn Jahren kochen will, würde allerdings hervorragend die Hundertschaften leerer Marmeladengläser füllen, die dort ebenfalls warten, aber erstens hätten Billys Reste dann keine Gesellschaft mehr und zweitens esse ich eigentlich lieber Käse.
Unter dem Artikel über Müllhalden aller Art finde ich dann noch erfreulich viel Post, die sich durch Liegenlassen erledigt hat, und außerdem eine Monate alte Zeitungsmeldung, die davon handelt, das Robert Pattinson versehentlich all seine SMS und Fotos gelöscht hat. Ich selbst dagegen habe nur versehentlich den Grund gelöscht, warum ich die Meldung aufbewahrt habe.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
Cordula Lippke
Gast
Liebe Susanne Fischer,
schön wie aus meinem Leben geschrieben! Das fördert Gedanken zutage, die noch nicht wirklich ausgereift sind ... z.B. über dieses drängende Gefühl Etwas zu kaufen um gegen die eigene Unordnung anzukommen! Ist das nicht der Kern unseres Wirtschaftssystems? Leichter Suchtcharakter (wer sucht, der findet!) und doch tröstlich, das ich nicht alleine damit bin.
Hezrlich Grüße
Cordula Lippke
Ichschmeissmichweg
Gast
Liebe Susanne,
Deinen Artikel werde ich aufbewahren. Der erinnert mich so schön an meine Wohnung. Er wird auf einem der vielen Stapel würdig altern dürfen... lach.
Viele Grüße
Barbara