piwik no script img

die wahrheitWörter, dringend abzuschaffende

"Spannend" sowieso. Mittlerweile ist ja schon der Orangensaft, den man am Tresen an Stelle des Bieres in sich hineinplömpt, "spannend"...

"Ich finds spannend, mal nen O-Saft statt Alkohol zu trinken." Diesen Satz habe ich neulich in einer Kneipe gehört. Ich finde demnächst unsere unfassbare Kanzlerin und ihr unbegreifliches Geschwammel in Pressekonferenzen "spannend", weils ja ohnehin wurscht oder klasseknorke ist. "Spannend". Welcher Gangster hat dieses Seuchenwort eigentlich in diesen unseren Öffentlichkeitssumpf hineingestopft?

"Gefühlte Meinung" - das habe ich kürzlich auch irgendwo gelesen. Es wird nichts mehr nicht gefühlt. Und vernommen habe ich aus dem Munde von Werder-Trainer Thomas Schaaf nach einem 1:1 gegen Gladbach: "Bei uns ist natürlich jetzt die Situation, wie man sie fühlt."

Das gesamte Börsenfaselvokabular. Kein alter Esel fragt sich, was Berichte von der Börse in den Nachrichten verloren haben. In Zeitungen. Im Fernsehen. Im Radio. "Börse" - rausschmeißen aus dem Wortschatz.

Schön allerdings ist das Wort "schön". Kein Schwein kann das Wort "schön" versauen. Das ist ein beruhigender, ein tröstlicher Gedanke. Schöne Frau. Schönes Wetter. Schön.

"Zeitnah" und "Zeitfenster". Weg damit, hinfort mit diesen beiden Wortblödmännern!

Am 3. März tauchte nach Hunderten oder bereits Tausenden von "Kulturen"-Komposita in der Süddeutschen Zeitung die - zudem in Anführungszeichen gesetzte - ",Augen-Kultur'" auf, gemäß dem allgegenwärtigen Motto: Hirn aus, Maul auf - und bitte ohne Pause.

Im Falle des, Gott sei es inbrünstig gedankt, nun final gescheiterten Kulmbacher Jauchebrauers und Neoheilands Freiherr v. u. z. G. schlämmten sich laut Spiegel Online die "Kultur des Abwiegelns" und die "Kultur des Herauswindens" an die blasenüberzogene Oberfläche des zu jedem Schwachsinn allezeit blindlings bereiten Medialdeppenfirnisses.

An jenem 3. März schrieb Matthias Altenburg in seinem Onlinetagebuch "Geisterbahn": "Es gibt doch einige Wörter, die der Freiherr zu Guttenberg bis an sein Ende besser nicht mehr in den Mund nehmen sollte: Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Wahrheit, Redlichkeit, Vertrauen, Respekt, Verantwortung, Glaubwürdigkeit, Ehre, Schicklichkeit, Anstand, Sittlichkeit, Verlässlichkeit, Seriosität, Geradlinigkeit, Scham, Lauterkeit, Offenheit, Korrektheit, Klarheit, Loyalität, Moral."

Alle anderen sollen nie mehr das Wort "wirklich" verwenden. Lasst mich mit eurem permanenten Gequatsche von "wirklich schönen Ferien" oder sonst einem von jeder Wirklichkeit bereinigten Gesudel in Ruhe.

Gepriesen hingegen sei das Wort "Inverkehrbringer", das ich, obendrein korrekt geschrieben, in einer Montageanleitung der Firma living style Schöner Wohnen aufgepickt habe. Inverkehrbringer! Bombig! Inverkehrbringer. Für den könnte ich mich wirklich voll glaubwürdig und geradlinig mit all meiner Gefühlsspannung einbringen, sogar für die zeitnah zu erwartende Inverkehrbringerkultur.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

7 Kommentare

 / 
  • M
    Micha

    Lecker

     

    nicht wirklich

  • N
    norbert

    ...und immer wieder ein Brüller: "definitiv!" (mit dem Fuße aufstampfend)

  • M
    Martin

    zu "Sozusagen" gibt es noch anzumerken,. dass die meisten Gebraucher dieser bedeutungsfreien Äußerung eine nachlässige Aussprache mit diesem Mistwort paaren, so dass schließlich nur noch "Sozagen" rauskommt. Herzlichen Glückwunsch.

    Gibt es eigentlich auch linkshändige Menschenkämpfer?

  • DD
    die dicke

    ich hätte da noch ein paar auf der Liste:

     

    - "ein Stück weit" -> diese Soziologen-verquastete Sprache für "ein bisschen" oder "ein wenig"

     

    - "verpeilt sein": also der Dauerzustand bedröhnter junger Menschen, ist auch gerne eine Entschuldigung dafür, dass man die Geburtstage wichtigster Mitmenschen verpeilt, äh vergisst

     

    - "auf dem Schirm haben" statt im Blick haben. Kommentar hoffentlich überflüssig

     

    - "am Start haben", gerne im Zusammenhang mit "Projekte am Start haben", das täglich Brot von Möchtegern-Kreativen

  • M
    miss_steff

    Außerdem dringend abzuschaffen: die Zwillingsschwester von "spannend", nämlich "schwierig" (Ich find's ja schwierig, tagsüber schon Alkohol zu trinken, aber abends wird's dann richtig spannend). Und bitte bitte "zeitgleich" sowie "sozusagen". Danke!

  • C
    Carsten

    Ich hab' auch noch ein paar:

    Migrant, _in, CO2-neutral, Aktivist, NGO, Rotationseuropäer, Extremismusforscher, Menschenrechtskämpfer, Transgender, Friedensflotte...

  • D
    Dette

    Und das sind nicht alle, die man im Duden nicht unbedingt braucht ...

     

    Wie wäre es z.B. noch mit "nachhaltig"!? Eigentlich kann man doch auch dieser einzigartigen Wortschöpfung nicht mehr entkommen. Ich vermisse nur noch neue S-Bahn-Anzeigetafeln, in denen der Zug bei Streik oder ungünstiger Witterung als "nachhaltig verspätet" angezeigt wird.

     

    Und natürlich das neue Lieblingswort der Medien: "Schicksal" - sowie alle seine wundervollen Ableitungen; z.B. "Schicksalsjahre" oder "Schicksals-Sonntag". Damit lassen sich tagespolitische Ereignisse in null Komma nix in pseudo-mystische Vorgänge umdeuten. Da sieht man doch schon unwillkürlich vor seinem inneren Auge die Parzen ihren dunklen Faden spinnen...