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die wahrheitHeilen ist die Hölle

Mirakulös: Der syrischstämmige Wunderheiler Mehdi Kment steht im exklusiven Interview der Wahrheit Rede und Antwort.

Lichtgestalt live: Mehdi Kment bereitet sich hinter der Bühne auf seinen nächsten großen Auftritt vor. Bild: reuters
Michael Gückel
Interview von Michael Gückel

Er ist der zurzeit angesagteste Wunderheiler des Planeten und füllt überall mühelos die größten Stadien: Mehdi Kment. Zu Hunderttausenden strömen die Menschen zu seinen Veranstaltungen und erwarten ein ums andere Mal Wunder von ihm. Doch was hat es mit seinen vermeintlichen Wunderkräften wirklich auf sich? Im Gespräch mit der Wahrheit zeigt sich er sich ungewohnt bodenständig und gibt private Einblicke in sein wunderbares Leben.

taz: Herr Kment, man sagt ihnen nach, Sie hätten Wunder zur Massenware gemacht, so wie Sie Heilungen am laufenden Band produzieren. Das Wunder als Selbstverständlichkeit, setzt Sie das nicht gehörig unter Druck?

Mehdi Kment: Also, ganz ehrlich? Es ist die Hölle! Überall werde ich mit offenen Armen und Beinen empfangen. Die Menschen zerren an mir und zwingen mich, ihnen an den unmöglichsten Stellen die Hand aufzulegen. So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt.

Sondern?

Ich wollte eigentlich nie auf die Bühne. Nach meinem Studium in Mirakulogie an der Universität Damaskus strebte ich eine Karriere in der Forschung an. Aber die Stellen dort sind leider rar und auch nicht sehr gut bezahlt. Und man muss ja auch sehen, dass man als praktischer Wunderheiler richtig gut verdienen kann.

Also zählt am Ende auch für Sie doch nur das Geld?

Nein, mich reizte auch die Flexibilität der freiberuflichen Tätigkeit. Und anfangs war das ja auch wirklich schön, ich hab ein oder zwei Bettlägerige pro Woche wieder fit gemacht und hatte sonst meine Ruhe. Doch dann bin ich in dieser Fernsehshow bei al-Arabija aufgetreten, wo sie per Gedankenübertragung die Zuschauer zu Hause heilen. Dann nahm das Elend seinen Lauf.

Das ist ja geradezu ironisch, ein Wunderheiler, den sein beruflicher Erfolg krank macht. Man liest ja in letzter Zeit so manches über Sie, auch von Burn-out ist immer wieder die Rede.

Ich will das nicht dramatisieren, muss aber zugeben, dass ich mich oft sehr, sehr müde fühle. Heilen ist harte Arbeit, und wenn man selbst niemand hat, der einen hin und wieder heilt, ist es doppelt schlimm. Versuchen Sie sich mal selbst die Hand aufzulegen, das klappt so gut wie nie!

Aber bei anderen funktioniert es dafür offenbar umso besser. Sie sollen ja letzte Woche erst live auf der Bühne einen Stummen wieder gehen gemacht haben. Ist so etwas nicht eigentlich unmöglich?

Was Sie da ansprechen, nennen wir in Heilerkreisen interdisziplinäre Wunderwirkung. Sie haben natürlich recht: Im Grunde vollbringe ich damit die unmögliche Heilung eines latent Erlahmten, der aus Stummheit seine Lähmung zu allem Übel nicht einmal artikulieren kann.

Faszinierend, das scheint weit über das übliche Maß an Scharlatanerie hinauszugehen.

Seit wann haben Sie diese Gabe?

Als ich noch klein war, vielleicht so acht Jahre alt, da hatte ich eine Art Erweckungserlebnis. Durch reines Handauflegen auf eine Eiswaffel konnte ich diese zum Schmelzen bringen. Das habe ich dann auch auf Menschen übertragen. Im Grunde hat das mit der transzendenten Wärme zu tun, die von meinen Händen ausgeht. Sehen Sie! (Er schaltet das Licht aus. Seine Hände glühen leicht gelblich im Dunkeln.)

Das ist ja sagenhaft, darf ich mal anfassen?

Wenns sein muss.

Wow! Die sind ja echt voll warm.

Sag ich doch.

Eigentlich dachte ich ja, Sie seien auch nur so ein Aufschneider und Abzocker, aber jetzt …

… jetzt kennen Sie die Wahrheit. Es ist mein Schicksal, zu heilen. (Kments Assistent und zwei Leibwächter kommen herein und blicken nervös auf die Uhr.) Ich muss los. In meinen Terminkalender stehen für heute noch der Besuch einer Leprakolonie und ein Senioren-Bingoabend in Castrop-Rauxel, bei dem ich traditionell als Hauptpreis eine Spontanheilung sponsere.

Hätten Sie vielleicht auch noch für uns ein kleines Wunder? One for the road?

Aber sicher! Achten Sie mal auf Ihre Tasse Kaffee …

Ja, und? Was ist damit?

Der Kaffee ist kalt!

Ja, aber … Der Kaffee steht doch schon eine Weile hier.

Und mit meiner Kraft habe ich ihn inzwischen abgekühlt. So einfach ist das mit Wundern.

Ja, dann vielen Dank fürs Gespräch und den kalten Kaffee.

Keine Ursache! (Mehdi lächelt milde und schwebt dann anmutig und leise auf seinen Luftkissenschuhen aus dem Raum.)

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