die taz vor zehn jahren zum umgang mit jugendlichen mehrfachtätern :
Vor einigen Wochen wurde im Hamburger Stadtteil Tonndorf der Inhaber eines kleinen Lebensmittelgeschäftes ermordet. Täter waren zwei 16jährige Jugendliche, die nach einer Serie von Straftaten in einer nahebei gelegenen offenen Jugendwohnung untergebracht waren. Danach entbrannte erneut die Diskussion über Jugendkriminalität. Gerhard Schröder und andere Politiker fordern die Unterbringung von straffälligen Jugendlichen in geschlossenen Heimen, Politiker der Union wollen außerdem das Jugendstrafrecht verschärfen.
Die Ohnmacht der Justiz im Umgang mit solchen massiv kriminell und drogenabhängig gewordenen Jugendlichen hat Ausmaße angenommen, die der breiten Öffentlichkeit noch keineswegs bewußt sind. Die klassischen familiären Strukturen befinden sich in Auflösung. Justiz und Jugendgerichtshilfe sind sichtlich damit überfordert, die Herkunft und die Lebensumstände dieser Jugendlichen angemessen zu beurteilen. Noch ratloser reagieren Jugendrichter und Staatsanwälte auf Jugendliche mit massivem Drogenkonsum und entsprechenden psychosozialen Problemen. Weder Untersuchungsgefängnis noch geschlossene Psychiatrie können in irgendeiner Weise den Erziehungsauftrag des Jugendgerichtsgesetzes gegenüber dem straffällig gewordenen Jugendlichen erfüllen. Es handelt sich um pure Verwahrung ohne erfolgversprechende Resozialisierung. Die Perspektiven für die betroffenen Jugendlichen sind düster, die hohen Rückfallquoten sind nicht verwunderlich. Angesichts dieser Normalität erscheint die Diskussion um geschlossene Heime als verfehlt und realitätsfern. Den Jugendlichen müssen zwar einerseits ihre Grenzen sehr deutlich gemacht werden, andererseits bedürfen sie aber ebenso umfänglich einer sozialen Betreuung, für die ein Gefängnis oder eine geschlossene Anstalt die falsche Umgebung ist.
Mahmut Erdem in der taz vom 25. 7. 1998