die taz vor zehn jahren über die kippelnde a-klasse von mercedes-benz als nationales menetekel :
Deutschlands renommiertester Autobauer, Mercedes-Benz, hat Schwierigkeiten mit seinem neuesten Produkt, dem Kleinwagen der A-Klasse. Zuerst kippte das formschöne Gefährt bei einem Test in Schweden um, was noch als mißgünstiger Akt gegen ein deutsches Produkt hätte ausgelegt werden können. Dann aber kippelt der Kleinwagen bei einem erneuten Probelauf in Deutschland bedenklich auf zwei Rädern und landete wohl nur deshalb nicht auf dem Dach, weil der Testfahrer sein ganzes Können am Lenkrad bewies. Der Beinahe-Unfall war den ARD-„Tagesthemen“ ein eigener Beitrag wert und beendete eine Sendung, die mit den Börsenverlusten in Frankfurt begonnen hatte. Zwei Meldungen eines Tages, die sich ergänzen und die Stimmungslage eines Landes widerspiegeln, das sich zu einem Gutteil auf ökonomische und technische Machbarkeit gründet.
Ein tragender Pfeiler ist bis heute die Autoindustrie. Das hat historische Gründe, die im kollektiven Bewußtsein bis heute weiterwirken. Das Zeitalter der Globalisierung hat diesen Trend zur Überhöhung, zum Fetisch, noch verstärkt: Wenigstens auf dem Gebiet der Autoproduktion, so lautet ein oft gehörter Allgemeinplatz, halten die Deutschen noch mit. Mercedes-Benz selbst hat mit einer äußerst aufwendigen Imagekampagne diesem Bild zu entsprechen versucht. Die A-Klasse wurde zum innovativen Produkt vor der Jahrtausendwende stilisiert, zum Markenzeichen aus deutschen Landen schlechthin.
Das Kippeln, für Millionen Zuschauer sichtbar, ist daher mehr als nur ein Konstruktionsfehler. Gerade weil er – im Gegensatz zu einem Motorenfehler etwa – für jedermann sichtbar wurde, wird Mercedes den Imageverlust so leicht nicht los, auch wenn das Problem behoben werden sollte. Das Pech des Weltkonzerns ist, daß der Fehler an seiner A-Klasse zu einem Zeitpunkt kommt, da die Stimmung hierzulande zum Depressiven neigt. Wenn ein Auto kippelt, dann scheinen auch Wettbewerbsvorteile und Arbeitsplätze zu kippeln.
Severin Weiland in der taz vom 30. 10. 1997