die taz vor zehn jahren über Großdemonstrationen in Belgrad und Zagreb – gegen Milosevic und Tudjman :
In Zagreb und Belgrad wird für Demokratie und die Beseitigung totalitärer Herrschaft demonstriert. Bemerkenswert daran ist nicht nur, daß die Ziele die selben sind – auch der Zeitpunkt ist gleich. Beide Führungen sind ernsthaft an die Grenzen ihrer bisherigen Politik gestoßen. Und das müßte eigentlich der internationalen Politik zu denken geben, denn auf beiden Seiten scheinen die „starken Männer“ Schwächlinge zu sein.
Die schon zu Zeiten der Ostpolitik fragwürdige Praxis, allen Diktatoren die Hand zu reichen und die Oppositionen der jeweiligen Länder im Namen der Stabilität der internationalen Politik zu ignorieren, ist hier jetzt so fragwürdig wie damals. Vor kurzem warnte der einflußreiche US-Botschafter in Zagreb die kroatische Führung, mit den offenkundigen Angriffen auf die Pressefreiheit fortzufahren.
Damit ist er schneller als der Europarat, der noch nicht bemerkt hat, daß sein neues Mitglied Kroatien sogleich gegen die Prinzipien verstößt, die man gerade unterschrieben hat. Hinter der Schlafmützigkeit der Europäer steht das Kalkül, daß nur Tudjman und Milošević die Stabilität der Region sichern können. Milošević wurde sogar mit der Aura eines Friedenspräsidenten versehen, obwohl er es doch war, der die Region in den Krieg gestoßen hat.
Zwar ist das Argument, mit beiden Präsidenten könnten wenigstens Verträge abgeschlossen werden, nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Opposition ist in beiden Ländern zerrissen, Alternativen waren in der Vergangenheit rar. Daß aber die langfristige Stabilisierung der Region nur eine Demokratisierung garantiert, hätte eigentlich jeder wissen müssen. Und daß es Frieden in Bosnien nur geben kann, wenn Tudjman und Milošević ihre Ambitionen aufgeben, das Land zu teilen, wird zwar hinter vorgehaltener Hand gesagt, aber es wird nicht danach gehandelt.
Die Amerikaner versuchen jetzt wenigstens, sich auf die Zeit nach der Ära Tudjman einzustellen. Es ist zu hoffen, daß sie dies auch in bezug auf Milošević tun.
Erich Rathfelder in der taz vom 23. 11. 1996