die taz vor acht jahren zur rot-grünen steuerreform :
Unaufgeregt verabschiedete der Bundestag gestern die Steuerreform. Während Rot-Grün, und vor allem Grün, die ureigensten Themen nicht durchbringt – ob dies der Atomausstieg ist oder eine vernünftige Sommersmogverordnung –, verfolgt man stattdessen erfolgreich Projekte, die CDU und FDP nur zu gern selbst in ihrer Regierungszeit durchgesetzt hätten. Dazu gehört ganz vorn die Steuerreform. Mal bissig, mal triumphierend, mal wehleidig: Mit Verve weist die CDU darauf hin, dass sie mit ähnlichen Ideen in der letzten Legislaturperiode an der SPD im Bundesrat gescheitert sei. Was weitgehend Wahlkampftaktik von Schröder war. Erfolgreich, wie wir wissen.
Schon diese Vorgeschichte zeigt: Die Steuerreform ist parteiübergreifend weitgehend unumstritten (von Details abgesehen). So viel Konsens ist selten. Eine bedenkenswerte Merkwürdigkeit.
Doch diesmal sind sich die Deutschen einig, dass sie viel zu viele Steuern zahlen. Dass also die geplante Entlastung von 45 Milliarden Mark jährlich dringend nötig ist (und nicht reicht!, so die CDU). Doch handelt es sich um eine gemeinschaftliche Selbsttäuschung: In Wahrheit liegen die Deutschen – nicht immer bei den nominalen Sätzen, aber bei den realen Abgaben – international im statistischen Mittel.
Die Belastung entsteht woanders: bei den Sozialabgaben. International fast unerreicht werden in Deutschland mehr als 40 Prozent des Bruttogehaltes von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in die Sozialkassen abgeführt. Konsequenz: Selbst Niedrigverdiener können sich bei den Abzügen wie Großverdiener fühlen. Belastet sind die Deutschen, aber nicht so, wie sie denken. Und bevor über Kürzungen – sei es bei Steuern oder Sozialabgaben – entschieden wird, ist etwas anderes zu klären: Welche Leistungen sind unverzichtbar? Wofür will man gemeinsam Geld ausgeben? Doch diese Debatte wird lieber ausgelassen.
Ulrike Herrmann in der taz vom 19. 5. 2000