die taz vor 16 jahren : RAF, Rücktritte, Reaktionen
Während die Ungereimtheiten bei der Aufklärung des katastrophalen GSG-9-Einsatzes in Bad Kleinen sich zu einem undurchdringbaren Gestrüpp auswachsen, versuchen sich die im Amte verbliebenen Verantwortlichen in Schadensbegrenzung. Zwar beteuern die Bundesregierung und die ihr unterstehenden Sicherheitsapparate monoton, daß schnelle und rücksichtslose Aufklärung das Gebot der Stunde sei, doch ihr wichtigstes Ziel ist ein anderes. Nach den Abgängen von Seiters und von Stahls versuchen sie, sowohl weitere Rücktritte als auch die Auflösung der GSG 9 zu verhindern.
Gleichzeitig müssen sie – schon aus Sorge um ihre eigene Gesundheit – die auch von Seiten der RAF gefürchtete bewaffnete Antwort auf den Tod von Wolfgang Grams abzuwenden suchen. Am deutlichsten demonstriert die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das Dilemma. Mit Unterstützung ihres Vorgängers Klaus Kinkel weigert sie sich, personelle oder administrative Konsequenzen zu ziehen; gleichzeitig kündigt sie eine Fortsetzung der „Kinkel-Initiative“ an.
Diese von ihr als „Politik der ausgestreckten Hand“ gegenüber der RAF charakterisierte Strategie sah in der Praxis allerdings so aus, daß die Justizbehörden die Gefangenen der RAF nicht frei-, sondern eher am ausgestreckten Arm verhungern ließen. Weder Kinkel noch Leutheusser haben bisher mit der notwendigen Entschlossenheit auf die Bundesanwaltschaft und das BKA eingewirkt, die schon aus Gründen der Existenzsicherung den Krieg zwischen RAF und Staat am Leben halten wollen. 12. 7. 91, Michael Sontheimer