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die stimme der kritikBetr.: Fleisch in Zeiten von BSE

Schadensbegrenzung plus Schweinskotelett und Putensteak

Wer vor hundert Jahren beim Essen auf Fleisch verzichtete, auch wenn er es sich finanziell leisten konnte, galt als subversiv: Auf der Liste der Staatsfeinde kamen gleich nach den Kommunisten und Anarchisten die Vegetarier, Nudisten und Sandalenträger der damaligen Reformbewegung. Hätte es schon damals der heutigen Massentierhaltung ähnliche Perversionen gegeben, wäre aus der Bewegung sicher noch mehr entstanden als die weltweit erste (und bis heute existierende) Kette von Reformhäusern.

Aber der Mensch ist, was er isst, und die stiernackigen deutschen Bestien mussten wohl noch für zwei Weltkriege herangezüchtet werden. So kommt es, dass man auch eingangs des dritten Jahrtausends in manchen „bürgerlichen“ Lokalen immer noch irritiert gemustert wird, wenn man fragt, ob die angebotene Suppe fleischlos hergestellt wurde. Und wenn ich mir die beiden Speckgesichter der zuständigen Minister – Fischer und Funke – anschaue, bleibt leider nur der Schluss: Die stecken eher Milliarden in einen Impfstoff gegen die neue Krankheit und bleiben bei Schlachteplatte, als sich und das System der ganzen Agrar-Unkultur zu reformieren. Ein besseres Fanal für eine radikale Umstellung der Landwirtschaft und Tierhaltung als BSE kann sich ein Politiker eigentlich kaum wünschen, aber hat man Frau Fischer ostentativ den köstlichen Weizeneiweiß-Wurstersatz „Wheaty“ spachteln sehen, hat Funke mit der Presse in einem vegetarischen Gourmetrestaurant gespeist und das Marktpotenzial deutschen Biogemüses gepriesen? Haben sie einen nationalen Erbsensuppentag propagiert, wie ihn weiland der vegetarische Führer seinen Teutonen verordnete? Stattdessen Schadensbegrenzung plus Schweinskotelett und Putensteak. Pfuschen am Symptom, statt Analyse und Beiseitigung der Ursachen, so lange bis vCJD hält, was BSE verspricht, und tausende krepieren.

Statt absurderweise Entschädigungen an die Rinderzüchter dafür zu zahlen, dass sie die Verbraucher künftig nicht mehr vergiften, müsste morgen die Umstellung der Nahrungsmittelproduktion auf eine sanfte, nachhaltige Wirtschaftsweise beginnen und damit auch die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten. Wer sich mit der neuen sanften Welle in der Küche nicht anfreunden kann, dem sei noch einmal meine Lieblingsantwort auf die Frage „Warum bist du Vegetarier?“ mitgegeben: „Nicht weil ich Tiere liebe, sondern weil ich Pflanzen hasse.“

MATHIAS BRÖCKERS

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