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Archiv-Artikel

die stimme der korrektur: über linien, den blutzoll, gefallene und alliierte

Neulich stieß sich jemand in der taz-Korrekturabteilung an der Formulierung von den „irakischen Linien“, die irgendwo verliefen. In historischen Texten hat man das vielleicht schon mal gelesen, aber ob das nun aktuell in Tageszeitungs-, gar „tageszeitungs“-Texten vorkommen soll, ist denn doch eine ungewohnte Frage. Hatten wir hier eine nach wie vor verwendete Fachsprache nur ausgeblendet (gucken Sie mal in den Duden, wie viele Zusammensetzungen mit „Panzer“ der kennt!), oder handelt es sich bei diesen „Linien“ um einen kalten, verharmlosenden Jargon, von dem sich fernzuhalten der taz immer noch Verpflichtung ist?

Sie sind dann ohne Rückfragen durchgegangen, die Linien, irgendwie muss ja die Grenze (!) zwischen den Kriegsparteien beschrieben werden. Bei „feindlichen“ Linien hätte man schon stärker grübeln können, wer denn wem feindlich gesinnt ist, bei „feindlichem Gebiet“ (die Nachrichtenagentur AFP am 27. 3.) wäre es noch schlimmer: Wenn wirklich das ganze Gebiet feindlich wäre, sollten diejenigen, die das so sehen, nicht die Finger davon lassen, weil es sonst noch feindlicher würde?

„Einnehmen“ nennt die Militärsprache das, was dann trotzdem getan wird. Wann heißt das eigentlich so? Hat Saddam Hussein Kuwait 1990 „eingenommen“? Werden Gebiete ohne Menschen auch „eingenommen“ – oder Menschen ohne Gebiete? Und wer gehört zu den „Gefallenen“, die dabei meist zu vermelden sind: auch die „feindlichen“ Leute, auch die Zivilpersonen? Sind die nicht genauso „gefallen“? Oder waren das nur die Nazis, die zu ihren Zwecken so gerechnet haben („Luftkriegsgefallene“) – so dass sich diese Einbeziehung nun gerade verbietet? Sollte nicht besser der gesamte Begriff des „Gefallenen“ wieder zurück in die Mottenkiste des Kriegerpathos?

Zählen soll man die Toten trotzdem – und Wortwiederholungen im Journalismus vermeiden! Also doch mal „Blutzoll“ schreiben (nur 8 Buchstaben)? Steht bei der taz auf der Tabu-Liste. Es lohnt trotzdem nachzudenken, wer in dieser Logik wessen Blut vergießt.

Und jetzt sind auch die „Alliierten“ plötzlich auferstanden. Wurde vor ihrer allmählichen Historisierung immer mal wieder bemängelt, dass mit dem Begriff nur noch drei Alliierte gemeint wurden, nämlich die West-Alliierten, hat sich die Gruppe nun wiederum verkleinert – auf Dauer? Wenn die BRD nun doch dort stünde, wo die Unionsparteien sie gerne hätten, geriete die mit dem Wort aufgerufene Erinnerung ernsthaft ins Wackeln. Deutschland würde zu den Alliierten gehören, hätte sich also 1945 selbst befreit. MATTHIAS FINK