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die sache istPinkeln ist politisch

Keine Toilette in Sicht? Im Gebüsch wird’s schwierig. Studierende bauen für mehr Sichtschutz ein Flinta*-Klo im Hamburger Schanzenpark

Foto: Charlinea Strelow

Die Blase drückt, weit und breit ist keine Toilette zu sehen. So weit, so alltäglich. Also auf ins Gebüsch. Schön wäre es, einfach im Stehen pinkeln zu können. Dann könnte man auf der Straße gegen eine Hauswand pissen, so wie es das Hobby vieler Männer zu sein scheint. Wenn doch bloß alle einen Penis hätten, was könnten wir in der Innenstadt über Pfützen hüpfen.

Aber viele von uns brauchen mehr Sichtschutz. Also zurück zum Gebüsch, wo hoffentlich gerade niemand guckt. Balance halten, sich am gegenüberliegenden Gestrüpp festhalten. Beten, dass sich zuvor niemand genau dieses Gestrüpp ausgeguckt hatte. Weiter beten, dass man nicht aus Versehen das eigene Bein oder die Hose trifft. Und dankbar sein, wenn man immerhin nicht auch noch den Tampon wechseln muss.

Kurz gesagt: Fehlende sanitäre Anlagen können einigen deutlich mehr Schwierigkeiten bereiten als anderen. Drei Studierende bauten deshalb im Hamburger Schanzenpark kurzerhand ein eigenes Flinta*-Klo, für alle außer Cis-Männer. Und zwar genau dort, wo sonst viele im Stehen pinkeln. Sie wollen anonym bleiben, eine Sondernutzungserlaubnis haben sie nicht.

Sechs Paletten, drei Holzleisten, ein paar Schrauben und eine Plane: Die improvisierte Toilette ist leicht zusammengeschustert. Gut, eigentlich ist es eher eine Kabine, in der man trotzdem einfach auf den Boden pinkelt. Aber drinnen ist man vor Blicken geschützt, wird nicht von Ästen gepikst. Es gibt eine Mülltüte und Tampons für alle. Ein Pappschild verrät außen, ob sie gerade besetzt ist.

Es dauert eine Dreiviertelstunde, bis eine erste Spaziergängerin die Toilette nicht nur sieht, sondern sie auch ausprobiert. „Richtig cool“ findet sie die Idee. Man muss nur als Zweite die Kabine aufsuchen, damit klar wird: Als Langzeitprojekt funktioniert das hier nicht. Der geteilte Quadratmeter fühlt sich sehr schnell eklig an, es ist eine Frage der Zeit, bis alles durchnässt wäre. Ursprünglich wollte das Trio Holzklötze aufstellen, wie kleine Inseln, verwarf die Idee aber wieder. Aber eine langfristige Lösung soll diese Flinta*-Toilette auch gar nicht sein, es geht eher um das Bewusstmachen fehlender Orte.

Aufmerksamkeit schaffen will auch das „klo:lektiv“. Vor fünf Jahren schlossen sich dort Wissenschaftlerinnen zusammen, die allesamt zu Toiletten forschen. Die Sozialgeografin Katharina Ciax ist eine von ihnen. Wer beim Wildpinkeln erwischt wird, trägt häufiger einen männlichen Namen, bemerkte Ciax in ihrer Forschung. Um das Problem zu lösen, werden deshalb manchmal mehr Pissoirs gebaut. Doch nur weil pinkelnde Männer in der Öffentlichkeit mehr Sichtbarkeit genießen, bedeutet das nicht, dass andere nicht auch auf die Toilette müssen.

Früher wurden einige Mitglieder des klo:­lek­tivs gefragt, warum sie sich gerade mit diesem Thema auseinandersetzen wollen. Aber das Thema ist eben nicht banal. Fehlende sanitäre Anlagen können die Bewegungsfreiheit einiger Bür­ge­r:in­nen einschränken, erklärt Ciax. Es braucht mehr Anlagen, insbesondere für Frauen, für Menschen außerhalb des binären Geschlechterspektrums, für Menschen mit Behinderung und Senior:innen. Kostenfrei. Nur so kann Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle sichergestellt werden.

Die Stadt Leipzig hat den Handlungsbedarf erkannt und eine Stelle geschaffen: „Referent und Koordinator für öffentliche Sanitäranlagen“. Dort plant Marco Schlütter nun mehr kosten- und barrierefreie Toiletten. Die ersten sollen schon Ende des Jahres aufgestellt werden und die öffentlichen Orte bereichern. Charlina Strelow

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