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Archiv-Artikel

die letzte wurst nach nirgendwo von WIGLAF DROSTE

Essen in Imbissen reimt sich nur mit Gewalt auf Gewissen. Ich tat es dennoch. Der Autobahnraststättenimbiss hieß „Wurst und Frite’s“ – den Apostroph kannte ich noch nicht. „Letzte Wurst vor der Autobahn“ stand da noch, um die Angst zu schüren, die nackte Angst vorm Verhungern.

Ich begriff die Botschaft und schob mir den fiesen Riemen hinter die Kiemen: Eine dick bedarmte, mittig durchgebrochene gebratene Bockwurst verschlang ich – nein, eigentlich war das keine Bockwurst, eher eine Wurst nach Bockwurster Art.

Einen ungesund braun-roten Schimmer verstrahlte sie – man hätte sie zur Herstellung von Leuchtzifferarmbanduhren heranziehen können, diese wurstfabrikantengesichtsrote Wurst, diese ulihoeneßfarbene Wurst, die leicht nicht nur die letzte ihrer Art vor der Autobahn, sondern meine letzte überhaupt hätte sein können, es aber nicht war, weil ich sie direkt nach dem Verzehr ihrer eigentlichen und wahrhaftigen Bestimmung zuführte und sie klatschend in eine weiße Porzellanklosettschüssel erbrach, nein, erbroch.

Existentiell und sehr persönlich ist das Brechen, heiß und lodernd. Den sauren Hinrich an die frische Luft lassen ist gut- und wohltuend, man wirft Ballast ab, der, durchs Leben weiter mitgeschleppt, als Gift sich erwiese, giftiger noch als eine ungeliebte Ehefrau. Weg ist weg ist wunderbar – göbeln, speien, reihern, das klingt nach Befreiern. So muss sich Deutschland nach 1945 angefühlt haben, als die Amerikaner kamen und die Deutschen von sich selbst befreiten.

Mit dem Zeichnerfreund Jamiri hatte ich in Bochum diverse Flüssigkeit aufgenommen; auf der Rückfahrt fiel Hunger uns an, nein: westfälischer Hungó, wütender, gewaltiger Appetit. Nahrung musste in uns hinein, unweigerlich und bedingungslos.

Auf der Ruhri-Autobahn machte eine Filiale der Fritiervertreterfirma Burger King mit einer Leuchtreklame auf sich aufmerksam. Die eigentlich unerfreuliche Tatsache ihrer Existenz löste in Jamiri und mir Begierde aus; wir drangsalierten unsere Chauffeurin, uns zum Drive-in-Spezialitätentresen zu kutschieren.

Wir bestellten, wie man in solchen Fällen bestellt: suchtartig, anfallartig, maßlos, gierig, besinnungslos – einmal alles mit Schuss eben. Der Mann am Schalter packte gigantische braune Papiertüten voll – es waren Abfalltüten, und wir waren der ganz unfugigen Meinung, ihren Inhalt unbedingt aufessen zu wollen. Der Burger-King-Angestellte reichte die Tüten durchs Fenster der Beifahrertür und wünschte uns was. Ich saß im Fond des Wagens, ich war so matschbirnig gewesen, mir Gestankessen zu bestellen, aber ich hatte doch noch Restklarheit genug, um das vollautomatisch ausgestoßene „Guten Appetit!“ zu parieren, und sagte: „Ihren Zynismus können Sie sich sparen.“

Der Verkäufer verstand das nicht, wir schlangen den Mist hinab, den wir uns gekauft hatten, wir steckten und drückten uns das Zeug in den Kopf, und dann wurde prompt eingelöst, was jedes Imbissessen verspricht: astrein wurde erbrochen, bis alles, alles wieder heraußen war, und so gingen wir zu Bett: als auf die Probe gestellte und gereinigte Männer.