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Archiv-Artikel

die kopftuchdebatte in berlin (teil 8) Cornelia Bührle will keine Distanz

Wer Zeichen setzen will, muss sich im Klaren sein, was sie aussagen

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass muslimischen Lehrerinnen das Unterrichten mit Kopftuch nur per Landesgesetz untersagt werden kann. Innensenator Körting (SPD) will nun per Gesetzesnovelle das Kopftuch gleich aus dem gesamten öffentlichen Dienst verbannen. Die katholische Schwester Cornelia Bührle denkt heute über die Sprache von Zeichen nach.

Meine erste Kopfbedeckung war ein Babymützchen, an das ich mich natürlich nicht mehr erinnern kann. Wohl aber an die Wollmütze, die im Winter mein zartes Kindeshaupt vor Kälte schützte. Später, in Kalifornien, wo ich zur Schule ging, kam der Cowboyhut auf den Kopf. Damit fiel ich unter all den Cowgirls als Ausländerin nicht auf, jedenfalls nicht äußerlich. Schließlich, zur Studentenzeit in Hamburg, zierte mich ein roter Schlapphut aus Filz. Gottlob wurde ich dann langsam endlich erwachsen, begab mich auf den Weg der Werdung meiner ureigenen, individuellen Identität. In der Sprache der christlichen Theologie ließe sich dies „Menschwerdung“ nennen. Dazu gehörte auch meine Einsicht, dass ich einfach zu klein geraten bin, um Hut zu tragen. Zudem habe ich kein Hutgesicht. Und mit Kopftuch sehe ich aus wie eine Bäuerin. Aber ich bin keine Bäuerin, sondern Juristin und katholische Ordensschwester.

Als Ordensnovizin liebäugelte ich mit dem Ordenshabit, das meine jetzt älteren Mitschwestern früher alle noch trugen: ein elegantes, bodenlanges schwarzes Kleid aus edlem Tuch inklusive feinem schwarzen Schleier, der bis zur Hüfte reichte.

Heute tragen wir Ordensfrauen des Sacré-Coeur dieses Habit in der Regel nicht mehr. Es schafft einfach zu viel zwischenmenschliche Distanz. Mit Liebe zu unserer Tradition bewahren wir aber noch ein komplettes Set unseres Habits im Ordensarchiv auf. Als ich es einmal probeweise anlegte, bekam ich vor dem Spiegel einen Schreck, nein, einen Schock. Auch meine Mitschwestern, denen ich so erschien. Vor ihnen stand ein anderer Mensch. Das Habit ließ nichts mehr von mir durch. Außer Stupsnase und Brille. Doch die signalisieren nicht persönliche Identität.

Als Ordensschwester des Sacré-Coeur, in Kaufhausrock oder Jeans, sehe ich also völlig unauffällig aus. Zum Leidwesen mancher Fotografen. Wenn sie mich nicht schon persönlich kennen, fragen sie mich zuweilen, ob ich nicht wenigstens für die Fotos mir irgendwo einen Ordensschleier ausleihen könnte; dann wäre ich doch viel einfacher einzuordnen.

In der Tat, in Kirchenkreisen heißt dies „Zeichenhaftigkeit“: Ordenskleid oder Priestersoutane als äußerlich erkennbares „Zeichen“ für die Gegenwart Gottes in unserer Welt. Aber ganz so einfach ist das nicht mit der Zeichensprache. Vor längerer Zeit begleitete ich einmal eine Ordensschwester, die Habit trug, durch die Straßen von Berlin. Im Vorbeigehen sagte einer zu der Schwester: „Was willst denn du hier, du Türken-Nutte?“

Als Ordensschwester möchte ich schon etwas von Gottes Gegenwart in der Welt mitteilen. Aber was? Was würde denn ich mit Ordenskleid und Schleier heutzutage tatsächlich über Gott „zeichenhaft“ aussagen? Welches Gottbild, auch welches Bild der katholischen Kirche, würde ich setzen? Ich würde auf jeden Fall einen zugeknöpften, unzugänglichen Gott verkünden. Einen, der mit den „normalen“ Menschen nichts zu tun hat. Und da alle Menschen auf eigene Weise normal sind, mit Menschen insgesamt auch nichts zu tun haben will. Dem menschliche Gefühle und Haltungen fremd sind. Damit auch: Barmherzigkeit.

Wer Zeichen setzen will, muss sich darüber im Klaren sein, was sie aussagen. Und wissen: Die Zeichen richten sich nach der Welt, nicht die Welt nach den Zeichen. Bestes Zeichen hierfür: die Straßenverkehrsordnung. Die gibt es auch in islamischen Staaten. CORNELIA BÜHRLE

Ordensschwester Cornelia Bührle arbeitete 10 Jahre als Migrationsbeauftragte des Erzbistums Berlin. Sie wechselte im September zum Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Brüssel